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Montag, 7. April 2014

Die Idee eines nachhaltigen Hedonimsus

Ich mag Vierfeldertafeln. Sie sind so schön einfach und schaffen doch gleich begriffliche Komplexität, wenn es darum geht, zwei unterschiedliche Ordnungsskalen gleichzeitig auf ein Problem anzuwenden. Um mein aktuelles Phänomen darzulegen, auf dem ich aktuell herumkaue, muss ich etwas ausholen. So ist es bekannt, dass im menschlichen Gehirn unmittelbar Emotionen auslösen. Parallel dazu werden Sinnesreize neben der räumlichen auch durch die temporale Pipeline gejagt und dadurch etwas erhalten, was man zunächst noch Rhythmus (Frequenzanalyse) und Struktur (räumliche Konfiguration) nennen kann. Erst danach wird schrittweise Weltwissen und dadurch Bedeutung darum gelegt. Ganz am Ende steht das Broca-Areal, das als Tie Breaker bei unklarem Input fungiert. Das ist natürlich alles Halbwissen, das mir in dieser Form von einem Vortrag über Psycholinguistik in Erinnerung geblieben ist, ich will aber auf etwas anderes hinaus, und dazu brauche ich die Vierfeldertafel.

Strukturell kann man also im menschlichen Geist (unter Ignoranz der Differenz mind/Seele der kontinentaleuropäischen bzw. angelsächsischen Philosophie) im Gehirn verorten wollen, haben wir also Fühlen und Denken als wesentliche Zugänge zur Wirklichkeit. Dazu hätte uns die antike Philosophie gereicht, aber ich finde es faszinierend zu wissen, wie es funktioniert. Denken und Fühlen sind also meine zwei Achsen, die mein Koordinatensystem abstecken. Als Extremwerte will ich an jeder Seite ein zu früh und zu spät antragen; es ergeben sich also Situationen (oder evtl. Charaktere), in denen das Gefühl vorauseilt und der Gedanke nachhängt, der Gedanke vorauseilt und das Gefühl nachhängt oder beide für die Situation zu früh oder zu spät kommen. In der Mitte gibt es etwas, das man den Flow nennen könnte, das Gefühl, dass sich alles im richtigen Moment ereignet, die Umwelt sich wie geplant oder erhofft verhält und eigene Handlungen genau so einwirken, wie es der eigenen – kognitiven wie körperlichen Rhythmik – entspricht. Künstler haben das in ihrem Schaffensprozess, manche empfinden so etwas beim Tanzen oder beim Sport, mitunter lässt sich das sogar beim Programmieren oder auf der Arbeit erleben, wenn man gut Fortschritte macht. Fast immer ist es sehr euphorisiernd, aber fast nicht vorherzusehen und schon gar nicht durch angestrengtes Bemühen zu erreichen. Es erfodert die Fähigkeit loszulassen, oder zumindest einzutauchen, sich total auf etwas einzulassen. Das eigene Ich ist eigentlich eine Differenz zum Flow. Was aber, wenn Denken und Fühlen aus dem Rhythmus kommen? Was fehlt uns dann eigentlich?

Wenn Fühlen und Denken der Situation vorauseilen, muss auf die Welt gewartet werden. Wir empfinden Unruhe darüber, dass sich die Früchte unserer Handlungen evtl. nicht unmittelbar einstellen wollen, dass uns etwas oder jemand aufhält. „Du stiehlst mir meine Zeit!“ oder „Zeitverschwendung“ sagen wir und werden uns bei nächster Gelegenheit Situationen zuwenden, die schneller ablaufen. Wenn Fühlen und Denken beide hinterherhängen können wir der Situation nicht schnell genug folgen. In Stresssituationen können wir gar keine Entscheidung mehr treffen, wir blockieren uns selbst und andere. In ruhigen Situationen stellt sich das Gefühl, dass es ein Flow hätte sein können erst ein, wenn die Situation verbraucht ist. Wir können es nur noch nachstellen und daraus Freude ziehen. Wenn das Fühlen vorauseilt und das Denken hinterherhängt treffen wir teils unliebsame Entscheidungen für uns und andere. Handlung im Affekt sagen wir, wenn wir im Eifer des Gefechts Dinge sagen oder ins Rollen bringen, die wir allzu gerne aufhalten würden, aber nicht mehr können. Eilt das Denken voraus und die Emotion warnt uns nicht, haben wir häufig soziale Folgen unseres Tuns oder Denkens übersehen. Selbst wenn sie inhaltlich korrekt sind, können sie andere verletzen, vor den Kopf stoßen, unmoralisch oder asozial sein.

Was nun, wenn wir statt Situationen Charaktere annehmen? Typ I ist der hyperaktive, der sich durch seine Umwelt immer gebremst fühlt und bei langatmigen Tätigkeiten schnell die Lust verliert. Typ II ist der tragische, der sich über alles klar wird, wenn die Situation vorüber ist. Typ III würden wir klassisch als emotional bezeichnen, Typ IV als kühl-rational. Ihnen allen ist ihr gemeinsam, dass ihre Rhythmus und innere Struktur teilweise an ihrer Umwelt vorbeigehen, nur bei den letzten beiden kann es aber zu der Situation kommen, dass sie ihr teilweise emotionales bzw. vernüftiges Übereinstimmen mit der Siutation als partiellen Flow begreifen und die jeweils andere Dimension völlig ignorieren. Fehlt ihnen also die Selbstreflexion, so dass sie ihren Habitus als Maß der Dinge, quasi als Ersatzflow und alles andere als defizitär begreifen, werden sie gefährlich. Denn was nützt mir jemand, der handelt ohne an die langfristigen Konsquenzen zu denken, seien es Gedankenlosigkeit wie fehlendes Empfindungsvermögen?


Ich will nicht ohne ein Empfehlung, eine Maxime schließen. Mit einem Kollegen habe ich vor ein paar Monaten bei Glühwein die Idee eines nachhaltigen Hedonismus entwickelt: einer Genusssucht, die das Leben liebt, aber nie so dumm wäre, durch unbedachte Folgen sich selbst die Grundlage zu entziehen. An diesem Gedanken halte ich fest, solange ich mich weiter bemühe, recht zu denken und zu fühlen.

Sonntag, 17. November 2013

Kreative Gäste Teil II

So, das Notizboard im Gang muss mal wieder gewischt werden - auch diesmal werden hiermit die besten Zeichnungen prämiert:



Zudem zwei ehemalige Gastgeschenke, die sich bei uns prächtig entwickelt haben:






Sonntag, 27. Oktober 2013

Erntedank 2013

Nachdem wir dieses Jahr schon bestimmt zwei Duzend Tomaten, vier fünf Paprika und viele kleine Erdbeeren geerntet haben, möchte ich doch zumindest noch die Ausbeute von unserem kleinen Apfelbaum nachreichen, der dieses Jahr, im Gegensatz zu seinen Artgenossen, überreich getragen hat. Die 60(!) Äpfel waren dann aber doch vielleicht etwas zu viel - sehr groß sind sie nicht geworden; dafür sehr fruchtig süß!


Mittwoch, 23. Oktober 2013

Gent - ja bin ich hier in Belgien?

Fotoimpressionen aus Gent, wo ich mich gerade auf Konferenz tummle. Ich teile gerne meine stark reduzierten Eindrücke:

- Sauber und sicher (Populisten können hier nichts fordern - ach so, die gibt es schon: Vlaams Belang)
- Grün und am Fluss
- Viele Platz für Radfahrer und Fußgänger
- Viele alte Häuser
- French fries...

Ach ja, und wie in jeder mittelalterlichen mitteleuropäischen Stadt: Cafés und Boutiquen dicht an dicht, aber kaum Supermärkte... (für durstige Reisende, die einfach eine Flasche Wasser kaufen wollen)









Ein Plädoyer für unordentliche Orte



Es gibt seltsame Orte. Eigentlich zeichnen sie sich dadurch aus, dass es Orte sein könnten, aber doch keine sind. Einen Bahnsteig zum Beispiel. Es gibt Sitzplätze, ein Dach über dem Kopf, Getränkeautomaten. Trotzdem lädt er nicht wirklich zum Zusammensitzen, zum Nachdenken oder zum Ausruhen ein. Zu laut rufen die ankommenden Züge mit kreischenden Bremsen, die abfahrenden mit heulenden Motoren, die Stehenden mitunter mit benebelndem Tuckern den eigentlichen Zweck in Erinnerung. Die gesamte Anordnung der räumlichen Gegebenheiten dient genau einem Zweck: Ein- und Aussteigen. Alles andere ist nur temporär, Wartezeit, die quälende Totalsperrung einer hektischen Welt. Es ist eine Anordnung, die sich einer abweichenden Aneignung gründlich widersetzt. Wer es dennoch versucht, erlebt und lernt viel, kommt aber nie an. Im Puls einer halben Stunde (so lange dauert es meist, bis auf demselben Gleis der nächste Zug einfährt) kommt es zu einem kompletten Austausch der umgebenden Menschen, die sich in diesen Ort mit einschreiben. Bestenfalls ist die gemeinsame Grundstimmung Rücksicht oder Ignoranz. Schlimmstenfalls das Setzen von Tatsachen (Handy-Gespräche, laute Musik, Zigaretten).

Tollkühn muten Transportinseln an, die man mitunter vom Fenster aus sehen kann, ist man doch eingestiegen. Sie erzählen eigentlich mehr über Mais- oder Zuckerrübenanbau, den Bewuchs von Bahndämmen oder geschotterte, provisorische Parkplätze, die sich verloren an sie drängen. Es gibt genau einen Bahnsteig, der zu ebener Erde zu erreichen ist und in Abwesenheit von Zügen oder Fahrgästen wie ein Fremdkörper wirkt: kein Fußweg führt vom Parkplatz  weg, kein Zug verspricht Linderung. Es bliebe nur der vorsichtige Gang entlang der Landstraße, dorthin, wo die nächsten Dörfer ihre ungefähre Lage durch Kirchtürme verraten, ein Weg, der gleichfalls wie ein Verstoß anmutet, da die gefährlich nah vorbeifahrenden Autos entweder ihre Geschwindigkeit nicht verringern oder bewusst weit ausholend den Gefährder umfahren.

Es gibt Orte, die könnten irgendwo liegen und rufen doch dieselbe Reaktion hervor: Glatt spiegelnde Wasserflächen an sandigen Säumen oder nahe in üppigen Grün überhängenden Pflanzen, die ihre Finger ins kühle Nass strecken, als wollten sie spielen, Bootsstege mit schaukelnden Wellen, ein sanfter Wind und das beruhigende Rauschen der See oder eines nahen Baches. Würde man dieselben Menschen vom Bahnsteig fassen und in Sekundenbruchteilen in ein solches Szenario versetzen, würde es nicht lange dauern, bis die Musik abgestellt, die Bücher zugeklappt, die Notebooks verstaut wären, bis das erste Lächeln über die Gesichter huschen würde, bis Jacken beseite gelegt oder zu Decken improvisiert würden, bis ganz automatisch erste Wortfetzen mit zustimmendem Nicken quittiert würden. Zugegeben, die Handys wären noch da, jetzt allerdings zum Festhalten der Stimmung für die Daheimgebliebenen im Bild.

Die wesentliche Frage lautet also: Was ist es, das aus einem Zusammenkommen von unterschiedlichen Komponenten einer räumlichen Anordnung so deutlich unterschiedliche Daseinsmodi suggerieren? Was ist unveränderlich und was haben wir nur vergessen, anders zu betrachten?

Die Anfälligkeit von Orten gegenüber den Gefühlen der Menschen, die ihnen mit Widerwillen, mit Unbehagen oder mit Scheu begegnen, die zumindest der dominanten Deutung nicht entsprechen, kann dem aufmerksamen Betrachter überall begegnen. Grünflächen, wenn sie nicht vom besten Freund des Senioren, sondern von unangenehm laut lachenden Jugendlichen belagert werden, die sich dort einfach hinsetzen. Da muss man schon mal zur Ordnung rufen! Auch eine Bar oder auch ein Club sind zunächst eine prima Sache, wenn man neue Menschen kennenlernen will. Für jeden Musikgeschmack gibt es schließlich Alternativen, an alle ist gedacht, Raucher wie Nichtraucher, tiefsinnige Gespräche und direkte Avancen, Tänzer wie Tanzverweigerer, Cocktail- oder Korntrinker. Und doch sind es Kleinigkeiten, falsche Kleidung am falschen Ort, das falsche Getränk, das falsche Wort, die einen Besucher maximal von diesem Ort entfremden, zu einem Kork auf der Oberfläche werden lassen, mitschwimmend und doch abgestoßen, umgeben von Menschen und doch fremd. Es sind so Kleinigkeiten wie die falsche Tageszeit. Schon mal abends ein frisches Hörnchen gefunden? Oder vormittags auf dem Oktoberfest gewesen?

An sich ist es erstaunlich, wie alternativlos Menschen mit völlig verschiedenen Hintergründen auf diese Welle einschwingen können, die ein Ort ausstrahlt, wie leicht es ihnen z.B. fällt, sich im Schutz des konzertierten über die Stränge Schlagens einer Party aufeinander einzulassen, auf Menschen, die am Bahnsteig oder mitten in der Hektik des Vormittags einander keines Blickes würdigen würden. „Es tut gut, mal richtig Party zu machen! Einfach loszulassen!“ erzählen sie. Man ist versucht zu entgegnen: „An was hast Du denn vorher so krampfhaft festgehalten?“ Ist es nicht erst die unhinterfragte Struktur des Alltags, die in Wahrheit Freiheit raubt?

Es gibt eine Menge geordneter Unorte, z.B. Schulen, die den Geist einschränken, anstelle ihn zu bilden. Klassenzimmer als Schubladen, deren Inhalt wie ein Zettel zur Beschriftung alle 45 Minuten ausgetauscht wird, Büros, in denen für Aufgaben exakte Zeiten bemessen werden. Spielplätze, hat einmal jemand gesagt, sind tolle Erfindungen; wenn man den Sand, die Geräte und die lachenden Kinder wegdenkt, die Gleichförmigkeit ihrer Gestaltung sieht und den Zaun, der schützen soll, sind sie nichts weiter als Kinder-Ghettos.

Im Sommer, wenn die klimatischen Bedingungen stimmen, wenn die Abende lang und mild sind, laufen sie zeitgleich, als wären sie programmiert, mit Tüten voll Grillgut, Kohle, Kästen voll Gebräu und grinsenden Mienen in Gärten, wo immer ein Stück Grün Freifläche bietet, umgeben von ihresgleichen, übertreffen sich in erlernten Kulturtechiken und versichern sich der Besonderheit der Situation, wenn sie bierselig über alles und nichts reden. Bald ziehen Rauchschaden um alle Häuser, fläckern Feuer, glimmen Kohlen, klingt Musik, als griffen Automatismen, als wäre es unnötig zu denken und zu fühlen, als wären Veränderungen mühselig und alles Einfache erstrebenswert. Ist das nicht gelinde gesagt, phantasielos?

Es gilt zu erwägen: ein Ort ist keine Anordnung von Dingen, er ist ein Gefüge von Zutaten, die von vielen Menschen in die richtige Mischung gebracht, geknetet und gebacken werde müssen, bevor sie reifen und Sichtbarkeit erreichen. Stimmt das Mischungsverhältnis nicht, oder trifft es schlicht nicht den Geschmack, ist er für den einzelnen Besucher verdorben. Er wird ihn vermeiden, gleich wie viele er anzieht, er wird es vorziehen, andere Ort aufzusuchen, zu mischen, zu wenden und zu verfeinern, bis für wenige Momente durch die Anwesenheit und Mithilfe anderer ein besonderes Rezept gelungen ist. Kleinkunst am Straßenrand in Berlin kann nur so funktionieren.

Insofern scheint es zwei Wege zu geben, kreativ zu bleiben und die Ordnung der Orte nicht allzu ernst zu nehmen, ihnen auch mal die Frisur zu zerzausen und die Strenge zu nehmen: Es ist mitunter wichtig, den Ablauf und die räumliche Struktur eines Events zu kennen, bevor man dorthin geht, weil man nur so die Gedanken frei hat für neue Kontakte, unerwartete Gespräche, einmalige Erlebnisse und neue Inspirationen. An zu viel Veränderung auf einmal kann nur der geübte Kosmopolit nahtlos anschließen. So tut es gut, Anordnungen vorzufinden, die bekannt sind: Eben weil, die Kohle glüht wie immer, das Bier und das Steak schmecken wie immer und der Ort in den Hintergrund treten kann für den Blick auf die Menschen. Und doch ist es wichtig, den kleinsten gemeinsamen Nenner auch als solchen zu begreifen und nicht als unveränderlich zu denken. Ver-rückte Orte erforschen sich am besten in vertrauter Runde: Denn liebende Menschen kann man überall mit hinnehmen.

Sonntag, 8. September 2013

Dettelbach, die Vierte

Nachdem ich gestern schon zum insgesamt zum vierten Mal mit den Untereuerheimern auf Wallfahrt nach Dettelbach war (wie immer ein Tag voller schöner Eindrücke, Gespräche und lieber Menschen) und diesmal auch rechtzeitig den GPS-Logger eingeschaltet habe (und mittlerweile ein bisschen was von Web-Visualisierung verstehe), möchte ich hier natürlich nicht einen Einblick in unseren gemeinsamen Weg vorenthalten (zur größeren Karte). Es fehlt das erste Stück aus Untereuerheim (da war ich noch nicht dabei) und das letzte Stück von Neuses am Berg nach Dettelbach (da war mein Akku alle):


Wie immer habe ich in Volkach Touristen erschreckt, die sich hinter dem postkolonialen Auge ihrer Kamera uns eingeborenen Fanatikern überlegen wähnten. Hier der dazugehörige Online-Pranger (einer schaut dümmer als der andere):





Montag, 5. August 2013

La Palma - La isla verde zwischen Sahara und Atlantik

Eine sehr erholsame, ruhige Urlaubswoche fern von Hektik, Stress und Arbeit, fern von bösartigen fränkischen Allergenen durften wir auf der Kanareninsel La Palma (mit vollem Namen San Miguel de la Palma; natürlich nicht zu verwechseln mit Las Palmas de Gran Canaria und schon gar nicht mit Palma de Mallorca, manche dachten wohl schon, wir wären von Individual- zum Massentourismus übergetreten - ts, ts...), möchte ich es natürlich nicht versäumen, hier ein paar Impressionen vorzustellen und gleichzeitig auch wieder geographische Interpretationen loszuwerden - es tut so gut, wenigstens im Urlaub wieder im Dienst der "richtigen" Wissenschaft denken zu dürfen.

Die Reise mit Iberia über Madrid nach La Palma und zurück war bis auf gewitterbedingte, heftige Turbulenzen im Landeanflug auf München unproblematisch und vergleichsweise komfortabel - die älteren Airbus-Modelle vom Typ 320 bieten nicht wirklich Beinfreiheit, es ist aber auszuhalten. Nervtötend waren allenfalls die jeweils fünf Stunden Wartezeit auf den Anschlussflug in Madrid. Die einzigen Ansagen auf diesem Flughafen, der nicht gerade klein ist, teilen darüber hinaus auf Spanisch und Englisch lediglich mit, dass es keine weiteren Ansagen gibt und man sich auf den Informationstafeln selbst informieren soll. Genaue Gates für den Flug werden ca. eine Stunde vor dem Abflug, also eine halbe Stunde vor dem Boarding, zum ersten Mal exakt angezeigt - für die am weitesten entfernt gelegenen Gates braucht man ca. 24 Minuten, um dorthin zu kommen. Bösartig: es scheint, als suche sich jedes landende Flugzeug einfach einen freien Parkplatz und jede Crew sucht sich eins aus, wenn's los geht... In Analogie "Der ICE aus Dortmund kommt heute mal auf Gleis 5, der Lokführer war da schon länger nicht mehr..." Weniger bösartig: erstaunlich, dass ein organisatorisches System, das nicht im Voraus geplant scheint, reibungslos funktioniert. Vielleicht wird man da auch nur als Deutscher nervös...
Eine erste kulturelle Hürde war die freundliche Dame am Flughafen, die uns den Weg zum Treffpunkt mit unserem Mietwagen-Verleiher beschrieb. Es hat ein bisschen gedauert, bis wir verstanden, dass sich SÄMTLICHE Richtungsangaben immer ABSOLUT auf ihre räumliche Ausrichtung wärhend der Erläuterungen bezogen. "Unten aus dem Aufzug und dann links..." bezieht sich also nicht auf die Bewegungsrichtung aus der Aufzugstür, wie zunächst irrigerweise von uns angenommen, sondern wir mussten uns erinnern, wo im Verhältnis zu ihr vorhin links war. Spannend, hat uns auch nur eine knappe Stunde und etliches an Nerven und eine nochmalige Rückfrage gekostet, bei der unsere Lesart von links sie mindestens genauso irritiert hat - am Autoverleih war man in der Zwischenzeit schon völlig aufgelöst seinerseits auf der Suche nach uns...
Ein freundlicher, älterer Herr stieg dann am vereinbarten Treffpunkt für die Schlüsselübergabe zu unserem Haus zu uns ins Auto und dirigierte uns zu unserem Häuschen im Grünen:


Ein schnuckeliges 46qm-Häuschen aus dem Jahre 1868, im Ortsteil Los Quemados der Gemeinde Fuencaliente ganz im Südwesten der Insel. Als Teil des "tourismo rural" werden dort alte, kleine Bauernhäuser zu Touristenwohnungen umgebaut, was den Ertrag erhöht ohne das Erscheinungsbild der Ortslagen über Gebühr zu belasten. Ein günstiger Supermarkt war auch zwei Kilometer entfernt, so dass sich der Aufenthalt problemlos gestaltete. Los Quemados bedeute übrigens "die Verbrannten" - im letzten Jahrzehnt wurde der trockene Südteil der Insel immer wieder von Bränden heimgesucht - nur mit Mühe konnten teilweise die Ortschaften gerettet werden, während ganze Wälder in Flammen aufgingen. Die heimische Pinie lässt sich davon nicht beunruhigen - unter schwarzer Borke sprießen nach einem halben Jahr neue Triebe.

Zur Lage von La Palma: Als jüngste der Kanareninseln zusammen mit El Hierro (man sieht die Insel am Horizont im Hintergrund unserer Terrasse oben rechts) ist sie entsprechend der tektonischen Plattenbewegungen am weitesten von Afrika entfernt. Zuerst entstanden Lanzarote und Fuerteventura, dann Teneriffa, Gran Canaria und La Gomera. Seit ca. 2 Mio Jahren hat sich der Hot-Spot-Vulkanismus erstaunlicherweise geteilt, wodurch El Hiero und La Palma parallel zueinander aufwuchsen.

Wikimedia Commons
Alle Inseln liegen nahezu andauernd im Nordostpassat, der von Afrika über den Atlantik streicht und bis La Palma im Vergleich zu den übrigen Inseln am meisten Feuchtigkeit aufnehmen kann. Dadurch ist der Nordosten an der für den Mitteleuropäer ungeohnten Luvseite mit dichten Lorbeerwäldern bestanden und der Südwesten im Gebirgsschatten karg und trocken. Der Passat weht normalerweise durchaus heftig, laut Auskunft eines deutschen Arztes, der auf der Insel lebt und sich in seiner Freizeit viel mit Meteorologie beschäftigt, liegt die Innertropische Konvergenz diesen Sommer aber so weit im Norden, dass es während unseres Aufenthalts zu großen Teilen windstill war bzw. Hang-Tal- und Land-See-Windsysteme gegen Abend sogar Wolken vom Atlantik auch von Westen an Land zogen. Es gibt tatsächlich perennierende Gewässer, die der Insel einträgliche Landwirtschaft (im Moment v.a. Bananenanbau - nur rentabel, da als Teil der EU frei von Zöllen) ermöglichen und lange eine Abhängigkeit vom Tourismus verhinderten. Laut Aussage unseres Vermieters zwingt aber die Krise mit einer Arbeitslosigkeit von bis zu 30% die Verantwortlichen im Moment zu umdenken. Es gibt eine kleine, aber laute deutsche Minderheit, die großen Anteil am Fortgang "ihrer" Insel nimmt und mit der Lokalpolitik zunehmend Kämpfe über strategische Pläne ausficht.

Als junge Insel hat La Palma relativ steile Küsten, was bei heftigen Vulkanausbrüchen Mega-Landslides wahrscheinlich macht und was uns mit unserem Mietwagen sich fast bis ins Fraktale schlängelnden Serpentinenstraßen aussetzte. Hier und da öffneten sich an Steilabfällen tolle Ausblicke (sp.: mirador), wie hier am Mirador del Time über die Barranco de las Angustias und die gesamte Südwestküste nach Süden (man sieht im rechten Bild sehr gut den geschwungen Straßenverlauf zum Boden der Schlucht)


Auch ein Besuch auf dem San Antonio, einem aktiven Vulkan, der zuletzt 1677 ausgebrochen ist, durfte natürlich nicht fehlen. Auf dem linken Bild steht Anette vor dem in Ansätzen bewaldeten Krater, in der Mitte als Gegenstück zum Ausblick oben der Blick vom Kraterrand über die Südwestküste nach Norden. Dies ist übrigens exakt der Bereich, der im Falle eines Mega-Landslides am gefährdetsten wäre... Das Bild rechts zeigt den Blick auf den wenige hundert Meter tiefer gelegenen Teneguia direkt an der Südspitze der Insel, der zuletzt 1971 ausgebrochen ist. Im Gegensatz zu explosivem, sauerem Vulkanismus und schnellfließenden basischen Laven wie auf Hawai hat La Palma wie Island intermediären Vulkanismus, der aus entwas Funkenflug, Ascheauswurf und relativ gutmütigen Lavaströmen, die man sich wie einen riesigen Grill voller klackernder glühender Kohle vorstellen muss, die sich langsam hangabwärts schieben. So entstehen klassische Schichtvulkane von fast beängstigend schöner geometrischer Regelmäßigkeit. Wo Erosion oder andere Ausbrüche das Gestein anschneiden, sieht man die gleichmäßig übereinander aufgeschichteten Lagen aus schwarzem Gestein und helleren Aschelagen. Es geht das Gerücht, dass die Palmeros, wie sich die Inselbewohner selbst nennen, 1971 zu Fuß in Sicherheit bringen und gleichzeitig darüber in Ruhe schwatzen konnten, welches Haus wohl erwischt wird und welches nicht. Intermediär bedeutet aber auch, dass die Magmen wohl durch magmatische Differentiation beim Aufsteigen basische Anteile verlieren und durch Aufschmelzen umgebender Gesteine saure Anteile gewinnen. Immer auf die Gutmütigkeit verlassen kann man sich bei dieser Lotterie auch nicht.


Hier der Blick in Gegenrichtung von der Südspitze, wo die Lavaflüsse zu schroffen Felsen erstarten (links im Hintergrund übrigens eine Saline) und der Blick über die schwarze Ödnis hinauf zum Teneguia:


Einen Eindruck von den verschlafenen und malerischen Städtchen (La Palma hat insgesamt 86000 Einwohner!) vermittelt die "Künstler"-Stadt El Paso im Landesinneren zwischen den beiden größten Städtchen, Los Llanos und Santa Cruz:


Im Inneren der Insel liegt die Caldera de Taburiente, ein fast kreisrunder Krater von mehrere Kilometern Durchmesser, umgeben von vulkanischen Höhenzügen. Obwohl namensgebend, handelt es sich dabei wohl nicht um eine Caldera im geologischen Sinne, sondern um eine Erosionsform - im Westen öffnet sich die Caldera zur Barranco de las Angustias. Hier verbargen sich bei der gewaltsamen Eroberer durch die Spanier wohl auch die letzten Guanchen, evtl. von den Römern aus Afrika vertriebene Berber.


Auch der Hauptstadt Santa Cruz haben wir natürlich einen Besuch abgestattet. Große Bedeutung hatte die Stadt im Siglo de Oro, als alle aus der neuen Welt eintreffenden Schiffe hier die Zollstation passieren mussten.


Am Strand und im Atlantik waren wir natürlich auch. Der schwarze Sand (eigentlich: kantengerundeter vulkanischer Regolith) war sau-heiß und konnte nur mit Badeschuhen betreten werden. Rechts kantengerundeter Lavakiesel mit Lufteinschlüssen: