Ich mag Vierfeldertafeln. Sie sind so
schön einfach und schaffen doch gleich begriffliche Komplexität,
wenn es darum geht, zwei unterschiedliche Ordnungsskalen gleichzeitig
auf ein Problem anzuwenden. Um mein aktuelles Phänomen darzulegen,
auf dem ich aktuell herumkaue, muss ich etwas ausholen. So ist es
bekannt, dass im menschlichen Gehirn unmittelbar Emotionen auslösen.
Parallel dazu werden Sinnesreize neben der räumlichen auch durch die
temporale Pipeline gejagt und dadurch etwas erhalten, was man
zunächst noch Rhythmus (Frequenzanalyse) und Struktur (räumliche
Konfiguration) nennen kann. Erst danach wird schrittweise Weltwissen
und dadurch Bedeutung darum gelegt. Ganz am Ende steht das
Broca-Areal, das als Tie Breaker bei unklarem Input fungiert. Das ist
natürlich alles Halbwissen, das mir in dieser Form von einem Vortrag
über Psycholinguistik in Erinnerung geblieben ist, ich will aber auf
etwas anderes hinaus, und dazu brauche ich die Vierfeldertafel.
Strukturell kann man also im
menschlichen Geist (unter Ignoranz der Differenz mind/Seele der
kontinentaleuropäischen bzw. angelsächsischen Philosophie) im
Gehirn verorten wollen, haben wir also Fühlen und Denken als
wesentliche Zugänge zur Wirklichkeit. Dazu hätte uns die antike
Philosophie gereicht, aber ich finde es faszinierend zu wissen, wie
es funktioniert. Denken und Fühlen sind also meine zwei Achsen, die
mein Koordinatensystem abstecken. Als Extremwerte will ich an jeder
Seite ein zu früh und zu spät antragen; es ergeben sich also
Situationen (oder evtl. Charaktere), in denen das Gefühl vorauseilt
und der Gedanke nachhängt, der Gedanke vorauseilt und das Gefühl
nachhängt oder beide für die Situation zu früh oder zu spät
kommen. In der Mitte gibt es etwas, das man den Flow nennen könnte,
das Gefühl, dass sich alles im richtigen Moment ereignet, die Umwelt
sich wie geplant oder erhofft verhält und eigene Handlungen genau so
einwirken, wie es der eigenen – kognitiven wie körperlichen
Rhythmik – entspricht. Künstler haben das in ihrem
Schaffensprozess, manche empfinden so etwas beim Tanzen oder beim
Sport, mitunter lässt sich das sogar beim Programmieren oder auf der
Arbeit erleben, wenn man gut Fortschritte macht. Fast immer ist es
sehr euphorisiernd, aber fast nicht vorherzusehen und schon gar nicht
durch angestrengtes Bemühen zu erreichen. Es erfodert die Fähigkeit
loszulassen, oder zumindest einzutauchen, sich total auf etwas
einzulassen. Das eigene Ich ist eigentlich eine Differenz zum Flow.
Was aber, wenn Denken und Fühlen aus dem Rhythmus kommen? Was fehlt
uns dann eigentlich?
Wenn Fühlen und Denken der Situation
vorauseilen, muss auf die Welt gewartet werden. Wir empfinden Unruhe
darüber, dass sich die Früchte unserer Handlungen evtl. nicht
unmittelbar einstellen wollen, dass uns etwas oder jemand aufhält.
„Du stiehlst mir meine Zeit!“ oder „Zeitverschwendung“ sagen
wir und werden uns bei nächster Gelegenheit Situationen zuwenden,
die schneller ablaufen. Wenn Fühlen und Denken beide hinterherhängen
können wir der Situation nicht schnell genug folgen. In
Stresssituationen können wir gar keine Entscheidung mehr treffen,
wir blockieren uns selbst und andere. In ruhigen Situationen stellt
sich das Gefühl, dass es ein Flow hätte sein können erst ein, wenn
die Situation verbraucht ist. Wir können es nur noch nachstellen und
daraus Freude ziehen. Wenn das Fühlen vorauseilt und das Denken
hinterherhängt treffen wir teils unliebsame Entscheidungen für uns
und andere. Handlung im Affekt sagen wir, wenn wir im Eifer des
Gefechts Dinge sagen oder ins Rollen bringen, die wir allzu gerne
aufhalten würden, aber nicht mehr können. Eilt das Denken voraus
und die Emotion warnt uns nicht, haben wir häufig soziale Folgen
unseres Tuns oder Denkens übersehen. Selbst wenn sie inhaltlich
korrekt sind, können sie andere verletzen, vor den Kopf stoßen,
unmoralisch oder asozial sein.
Was nun, wenn wir statt Situationen
Charaktere annehmen? Typ I ist der hyperaktive, der sich durch seine
Umwelt immer gebremst fühlt und bei langatmigen Tätigkeiten schnell
die Lust verliert. Typ II ist der tragische, der sich über alles
klar wird, wenn die Situation vorüber ist. Typ III würden wir
klassisch als emotional bezeichnen, Typ IV als kühl-rational. Ihnen
allen ist ihr gemeinsam, dass ihre Rhythmus und innere Struktur
teilweise an ihrer Umwelt vorbeigehen, nur bei den letzten beiden
kann es aber zu der Situation kommen, dass sie ihr teilweise
emotionales bzw. vernüftiges Übereinstimmen mit der Siutation als
partiellen Flow begreifen und die jeweils andere Dimension völlig
ignorieren. Fehlt ihnen also die Selbstreflexion, so dass sie ihren
Habitus als Maß der Dinge, quasi als Ersatzflow und alles andere als
defizitär begreifen, werden sie gefährlich. Denn was nützt mir
jemand, der handelt ohne an die langfristigen Konsquenzen zu denken,
seien es Gedankenlosigkeit wie fehlendes Empfindungsvermögen?
Ich will nicht ohne ein Empfehlung,
eine Maxime schließen. Mit einem Kollegen habe ich vor ein paar
Monaten bei Glühwein die Idee eines nachhaltigen Hedonismus
entwickelt: einer Genusssucht, die das Leben liebt, aber nie so dumm
wäre, durch unbedachte Folgen sich selbst die Grundlage zu
entziehen. An diesem Gedanken halte ich fest, solange ich mich weiter
bemühe, recht zu denken und zu fühlen.