Die These vom angemessenen, stetigen
Wachstum aus ökonomischer Sicht soll heute gar nicht Kern der
Betrachtung oder besser der Kritik in ihrer Reinform als
differenzierendem Denken sein, sondern vielmehr das Nachdenken über
das Wachstum a sich, das uns scheinbar unaufhörlich überall umgibt. Zum
ökonomischen Aspekt nur so viel vorweg: wenn ein System als in
seinen Ressourcen beschränkt gedacht wird, wenn also sowohl durch
materielle Grundlagen und effizientere Organisation des Umgehens
damit lediglich ein neuer Aspekt zur Dominanz gebracht werden kann
und andere Aspekte dafür weichen müssen, kann nicht wirklich von
Wachstum gesprochen werden. Ein Beispiel wäre das IT-Zeitalter mit
energieeffizienten Rechnern und einer Fülle an digitalen
Dienstleistungen. Die Summe an Arbeitsleistung, die (sicher nicht
ganz zu Unrecht) darauf verwandt wird, lässt jedoch viel Wissen
handwerklicher Art, das im traditionellen Gedächtnis ganzer
Teilgesellschaften bewahrt wurde, hinter sich. Dieser Blog könnte
nicht in der Form geschrieben werden, wenn nicht ein Rückgrat an IT
(und ungleicher Verteilung materieller wie autoritativer Ressourcen
über den Globus) dafür den Platz geschaffen hätten (Ob das
Internet ein Ort oder ein anderswo ist, kann ich vielleicht in
ein/zwei Jahren sagen). Dennoch: alles, das Kapazitäten bindet (mir
gefällt im Englischen die Formulierung „take place“ – etwas
nimmt sich seinen Ort), schränkt dessen Verfügbarkeit für anderes
ein, wenn sie sie nicht sogar unmöglich macht.
Die erstaunlich einfache Erklärung
liegt im gedanklichen Wegschauen. Dies lässt sich auch ohne
Aristoteles erklären, obwohl die folgenden Gedanken sicher einem
aufmerksamen Leser der Kategorienschrift nicht ganz unbekannt sein
dürften. Ein Großteil des (vor diesem Hintergrund vielleicht nur
gefühlten) Erfolgs der Menschheit liegt sicher in der kognitiven
Blindheit für die Negation. Selbst eine sprachlich-gedankliche
Negation bereitet uns ja schon Schwierigkeiten. Die Literatur ist
voller Gedankenspielereien wie „Es ist nicht unmöglich, dass kein
Mensch in Versuchung gerät, nicht wieder ganz von vorne anzufangen.“
Soll er jetzt oder nicht? Viel Spaß beim Zählen der Negationen! Die
kognitiven Blindheit zeigt sich aber noch besser bei der Sphäre des
Visuellen, sicher einen prominenteren unserer Sinne. „Ein Karte hat
keinen Konjunktiv.“ So fordert Georg Glasze als kritischer
Kartograph ein differenzierteres Verständnis für diese
Ausdrucksform ein. Grenzen und Namen auf einer Karte besetzen Raum,
bilden ein Leitbild (dienen als Referenz für andere, in der Lerngeschichte folgende
Beschreibungen dieses Raums) und sanktionieren somit fast unmittelbar
jede „unnatürliche“ Veränderung der anfangs beschriebenen Grenzen.
Ganz ähnlich hat Bausubstanz keinen Konjunktiv. Abseits von
Reduktionismen („Siehst Du ja schon von außen, wer da nur wohnen
kann.“) macht ein konkretes Bauwerk das sich Vorstellen einer
andersartigen Besetzung dieser Raumstelle schwierig. Es bedarf des
geschulten oder visionären Auges von Geographen, Denkmalkundlern und
Architekten, um solche Blicke zu realisieren und zu zeigen.
Halten wir fest: Einmal Verschwundenes
dringt nur schwer ins Bewusstsein, sowohl ein Ungedachtes als auch
ein nicht Seiendes fallen weder im Denken noch in der Wahrnehmung
unmittelbar auf. Einzige Ausnahme ist hier sicher der Verlust einer
begrifflichen Referenz, wie ich sie oben dargestellt habe. Ein
solcher Verlust des scheinbar natürlichen Referenzrahmens, sei es
einer geliebten Person, der Heimat oder auch nur eines Gebäudes, das
mit Erinnerungen überladen scheinbar schon immer da war, sind im
Gegenteil sehr dauerhaft. Ein solcher Phantomschmerz lässt sich mit
dem Auseinanderfallen eines kognitiven Modells und des aktuellen
Zustands der Umwelt erklären – solche Brüche in der
Wahrnehmungskontinuität hat sicher jeder schon einmal erlebt.
Es ist inhärenter Bestandteil
menschlichen Erfolgreich-Seins, dass selbst diese Erfahrung ignoriert
werden kann – nicht im Rahmen eines Individuums, aber in Bezug auf
menschliche Gesellschaft als solches. Es scheint seinen Grund zu
haben, warum eine rasche Folge von Generationen sich im Rahmen der
Evolution als erfolgreicher erwiesen hat, als einige wenige
Individuen mit großer Lebensspanne. Die Sphäre organischen Lebens
wie wir es kennen, bringt durchaus auch größere Lebensformen
hervor, die mehrere Jahrhunderte überdauern können. Ob es der Geist
des Wegschauens, der immer neu seligen Unwissenheit, der
Unbekümmertheit und des Wagemuts ist, der Menschen so erfolgreich
gemacht hat? Eine Generation wird zum Träger von Entwicklung,
verbraucht sich, indem ihr kognitives Modell immer weiter mit der
Wirklichkeit auseinanderfällt („Altersstarrsinn“) und tritt
beiseite. Eine neue Generation übernimmt, ruft neue Leitideen aus,
schiebt alte Begriffe beiseite und gestaltet auch die Materialität
des Seins um. Schleichend, fast unmerklich, hin und wieder begleitet
von einer handfesten Revolution, wird eine scheinbar kontinuierliche
Geschichte des Wachstums geschrieben, in dem an bestimmten
Leitaspekten, die gerade in voller Blüte stehen (z.B. Technologie,
Kapitalismus schon eher nicht mehr...) ihre erfolgreiche Entwicklung
aufgezeigt. Logisch, was durch diese Erfolgsgeschichte verdrängt
wurde, fällt ja nicht mehr auf.
Ein abschließender Blick auf die
Sphäre des Ökonomischen: Wachstum ist also sichtspezifisch: „Unser
Unternehmen wächst“ (und andere verlieren). „Ich lerne gerade
unheimlich viel“ (und andere vergessen – vielleicht für immer).
„Die großen Entdeckungsfahrten eröffneten ein neues Zeitalter“
(und beendeten in vielen Teilen der Welt eine Unzahl an Existenzen).
Systemisch gedacht sollte es reichen, einen Zustand auf hohem Niveau
stabil halten zu wollen. Die Sucht nach dem Aufbruch, nach der neuen,
ungeahnten Chance, in ihrer unbedenklichen Form auch Neugier genannt
lässt auf jeder Ebene ein Unzufrieden-Sein mit dem Erreichten
eintreten. Wie weit kann ich es noch treiben? Es schlicht
auszuprobieren, macht den Verlust unausweichlich – entweder für
mich oder für diejenigen, die in meinem Erfolgsfall Ressourcen an
mich abgeben müssen. Wenn aber nicht nur die Enttäuschung einer
vagen Wachstumsaussicht Anleger in Aufruhr versetzt, sondern vielmehr
Wetten auf die Erfüllung oder Nicht-Erfüllung einer antizipierten
Entwicklung zum Gegenstand materieller Aushandlungsprozesse werden
(Fällt der Euro? Steigt er?), ist dieser Prozess von allen
Lebensgrundlagen völlig abgekoppelt und bedroht durch die
unheimliche Masse an verwandten Ressourcen die Lebenswirklichkeit
eines jeden. Nicht nur mir als selbsternanntem Bewahrer stellt sich
hier die Frage, ob wir wirklich noch spielen, oder ob wir schon
leichtfertig vertändeln – vielleicht schaffen wir aber auch gerade nur Raum für
eine neue Leitidee, die in ein paar Jahrhunderten ihre
Erfolgsgeschichte erzählen kann.
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