3:50: Aufstehen.
4:42: Ich hasse Abschiede am Bahnsteig.
Ich hätte meine Frau lieber dabei. Ich versuche, in Tagen zu
rechnen. T-9.
5:30 Schichtbeginn in Schweinfurt: Der
Zug füllt sich seit Hassfurt mit Blaumännern. Jeder kennt jeden. Es
geht darum, wer wann gestern zu viel oder zu wenig getrunken hat und
ob gezieltes Training Muskeln bringt. Der Zug kommt wirklich mal
pünktlich in Würzburg an.
6:30 Nebel über den Feldern vor satt
dunkelgrünen Hängen. Franken.
7:00 Sie studieren Sport und Religion.
Auf Lehramt. Sie lernen Dichotomisierung und Dialektik (auswendig),
können es aber nicht aussprechen (Discho-tom... was is des?),
geschweige denn, dass sie verstünden, was es bedeutet. Es geht nur
darum, wie man leicht an seine ECTS kommt und welche Themen
wahrscheinlich dran kommen...
7:30 Manager nutzen offensichtlich
Handlungsspielraum, sie explorieren ihn nicht (Den
Geisteswissenschaftler, die Handlungsspielraum schaffen, zahlt
niemand was.). Sie gehen im Erwartungsrahmen auf (Anzug, Reden über
Porsche, Aktentasche, Designen emsig Marketingfolien) – wird in
Frankfurt noch produziert oder nur verdient? Es geht um steigende und
sinkende Preise.
7:30 Idee nach Lektüre: Die Illusion
ist die gefühltenSicherheit, nicht das sich als Person empfindende
Subjekt, das ist Daseinsgewissheit. Die Überwindung der Sicherheit
ist ein Aspekt von Freiheit.
8:00 An der Passkontrolle: „I'm a
tipper. I always give a tip. But the Germans keep it unless you want
it back.“
8:30: Am Scanner: „Zeigen sie mal
Ihren vielen Medikamente! - Herzallerliebst! Sie fliegen dat erste
Mal, wa?“ Sag halt einfach, dass ich das Zeug mitnehmen darf...
9:20: Das Boarding beginnt NICHT. Die
Lebenserhaltungssysteme (oder so) im ursprünglich geplanten Flugzeug
funktionieren nicht. Es werden 25 Minuten in Aussicht gestellt. Das
würde mir kaum zu Imigration, Koffer umbuchen und boarden reichen.
Mir wird im Fall der Fälle eine ad hoc Umbuchung in Houston in
Aussicht gestellt. Ganz hinten unter den Wartenden entdecke ich Oma
Yedda. Gut, jemanden, der so aussieht, wie … vor 20 Jahren
ausgesehen hat.
9:50: Boarding beginnt faktisch. Die
Deutschen schaffen es nicht, sich in two lines upzurowen, die Amis
sind sauer. Der Pulk drängelt einfach durch, obwohl nach Reihen
aufgerufen werden sollte. Die ganz hinten brav Wartenden (inkl. mir)
werden zur Business Class durchgewunken, nachdem das Boarding hier
abgeschlossen ist. Neben mir ist sogar ein Platz frei! Ich hätte
Anette doch mitnehmen sollen.
10:30: ca. Take-off: Europäische
Wertarbeit. Schnurrt, beschleunigt, zieht ansatzlos nach oben. Und
der A-380 ist wirklich ein Riesending! Der Kapitän beruhigt: Arrival
on time still possible. Schaun wer mal. Ich seh mich von meiner neuen
Kreditkarte schon schöne kalifornische T-Shirts kaufen...
11:30: Nordsee. Ein indisch-stämmiger
Amerikaner und ein BWL-behemdeter Deutscher mit nach oben operierten
Mundwinkeln streiten sich, ob der Sitz so weit nach hinten geklappt
werden darf, dass er dem Inder (sorry, dem
non-european-ancestor-ooking-American) im Gesicht hängt. Die
Stewardess kann keinem der beiden als Deeskalationsstrategie den
freien Sitz neben mir vermitteln. Der Deutsche bekommt leider Recht
und kostet es weidlich aus. Der Konflikt schwelt.
12:00: Komisch: ich tipp hier und schau
mir wie immer die Route auf dem Bordmonitor an (der A-380 bietet
3D-Animationen der gerade überfolgenen Landschaft, die anderen
glotzen fern oder schnarchen. Keine Manager, die was arbeiten wollen?
Ach so, heut ist ja Feiertag... Die Nackenhörnchen- und Kissenrate
ist bedrohlich hoch.
12:15: wird umfliegen den britischen
Luftraum ungefähr in der 30-Meilen-Zone. Was ist da los? Es riecht
nach Lunch. Angekündigt sind auch noch zwei Snacks und Dinner.
Genau, macht mal was für mein schönes Projektgeld. Wenn jeder hier
drin das gleiche bezahlt hat wie ich und kein riesen Reingewinn drin
steckt, kostet ein Transatlantikflug mit der A-380 samt Personal ein
hübsches freistehendes Einfamilienhaus in Oberhaid. Wow! Der
Konflikt ist bereinigt. Nachdem der Deutsche eine Dreiviertelstunde
Reht hatte, klappt er den Sitz nach oben.
12:30: Mint erkennt mein Headset, mag
es aber nicht als Standard-Audiogerät verwenden. Der komische
Billighöhrer, der für die reichhaltige Videothek (Trash, Trash,
Trash) des Bordcomputers beilag, ist nicht genormt und liefert mit
seinem tollen Doppelstecker nur Sound auf dern rechten oder dem
linken Ohr. Super, jetzt ist auch noch der eine Kopfhöhrerschutz
abgerissen. Ist eh zu laut für Musikgenuss. Restliche Flugzeit 8:21
Std , restlicher Akku 5:55 Std. Gut, dass ich zwei Notebooks im
Handgepäck hab ;)
13:15: Island-Tief über Island.
Schade. Jetzt seh ich wieder nicht, wohin der Schatten des Scartares
fällt und dabei sind fast genau die Kalenden des Juli... Wäre ich
nicht Geograph müsste ich mich demnächst fragen, wo die Grenze
zwischen Europa und Amerika genau verläuft. Ist auf Wikipedia aber
sicher geklärt. Mittagessen in der Alu-Schale. Richt wie warmer
Audi, schmeckt aber brauchbar. Dazu Zitronentörtchen. Uäh,
Putzmittel...
16:00: Habe tatsächlich fast drei
Stunden an meinem Trackanalyse-Tool gebastelt. Warum nur sieht der
eigene Code nach einem halben Jahr ohne Arbeit daran grässlich bis
inkompetent aus? Da darf ich noch ein bisschen basteln, bis ich da
geeignete Maßzahlen für Erlangen beisammen habe. Mittlerweile habe
ich wolkenlose Blicke auf Grönland und Kanada erhascht! Mein
Reihennachbar, den ich bislang als Schnarcher im Verdacht hatte, ist
gerade mal nicht da (wo er gerade ist, sieht es wüst aus – ich
werde mir weitere Besuche bis zur nächsten Landung verkneifen) –
es schnarcht aber immer noch; etwas weiter drüben, dafür umso
lauter. So kann man sich täuschen... Gleich gibt es noch die
Zoll-Zettel zum Vorausfüllen. Richtig, da war damals was... Immerhin
scheinen wir mittlerweile wirklich wieder im Zeitplan. Halbe Stunde
bis zur Hudson-Bay, dann überfliegen wir nur noch Land
13:55 (Houston Time): got contact. Die
Erde hat mich wieder. 33°C in Texas. Procedere von hier:
Immigration, Koffer holen, custom protection, Koffer aufgebe,
Sicherheits-Scan, Terminal suchen, boarden. Ach ja, das alles vor
15:15 Uhr
14:30 Immer noch an der Immigration.
Der texanischen Beamte hat zwar ein mahnendes Poster (you are the
face of our nation!) hinter sich hängen, scheißt aber trotzdem
jeden an.
14:45 Der Koffer kommt als einer der
ersten. Jei, das kann klappen!
14:50 Der Zoll ist völlig überfüllt
und winkt einfach nur durch.
14:55 Der Koffer ist wieder aufgegeben
15:00 Horror! Ca. 300 Leute am
United-Sicherheits-Scan vor mir! Aber im Queues abarbeiten sind
Amerikaner unübertroffen. Ein humorvoller Beamter an der
Scan-Station lacht mit mir gemeinsam darüber, dass es auf deutsch so
herrlich kompliziert „Bitte warten Sie doch noch kurz dort drüben!“
heißen würde. Immerhin fragen tatsächlich Leute erst mal, woher
man kommt und wie das bei einem daheim funktioniert. Ein murfiger
Franke hätte wahrscheinlich auch „do bleibsd steh!“ gesagt. Ohne
Nachfrage.
15:15 Gescannt, Schuhe wieder an. Die
Frau an der Security-Schleuse ist über meine Übereifrigkeit,
kontrolliert zu werden, so amüsiert, dass sie lacht: „Relax, man!
Happy Indipendence day!“ Der Flug ginge jetzt.
15:22 Ein United-Mitarbeiter erklärt
mir, dass die Abflugtafel nicht nach Zeit, sondern nach Alphabet
sortiert ist – und dass mein Flug auf 16 Uhr delayed ist! Yippieh!
16:00 Eine echte Texanerin am Tresen.
Scheißt die Leute zusammen und tanzt gleichzeitig mit Hüftschwung
die Zeit tot.
16:35 Nerv! Es geht los. Der Koffer
sollte es also auch geschafft haben.
17:35 (West coast time) Nach ein paar
verwirrenden Schleifen im Tiefflug über San Diego: „We have a flap
malfunction and cannot land in San Diego, because than runway is too
short. We are redirected to LA.“ Panisches Lachen im Flugzeug.
18:00 (around) Wir setzen sicher auf.
Wenn ich das richtig verstanden habe, hatten wir vieeel Anlauf, weil
wir im Sinkflug reinkommen mussten und hatten deswegen einen Bremsweg
wie ein Kieslaster. Die bereitgestellten Foam Units hupen vor Freude
Spalier. Puh, an den Trollen, die mich kochen wollen, bin ich schon
mal vorbei.
19:00 Ein Ex Navy Flieger
beglückwünscht mich, dass ich trotz flight fear cool geblieben bin,
nimmt mich unter seine Fittiche und erzählt mir Horrorgeschichten.
„At the navy, we fixed flaps with tape.“ Beruhigend. Durchsage:
Es wird ein Anschlussflug kostenlos und unbürokratisch
bereitgestellt. Der Flughafen ist leer – independence day.
19:30 Geplapper beim Warten an den
Anschlussflug: Älteres Ehepaar: „We are from Florida and are on
vacations. I guarantee we will get back by car!“ „That wan't the
plane we were supposed to fly on. It was taken out of a barn before!“
Eine Österreicherin, die bei München lebt, erzählt mir, dass sie
aus Mexiko-Stadt kommt, wo der „Taxi“-Fahrer nicht wusste, wo der
Flughafen ist und von der Polizei mit den vorgehaltenen großen
Wummen auf seine Seriosität gecheckt wurde. Nach San Diego ist sie
bloß über Houston geflogen, weil sie dort mit ihrem Kollegen aus LA
das Feuerwerk zum Independence day anschauen wolte. Jetzt steht sie
in LA und er in San Diego im Flughafen. Dort steht übrigens wohl auf
der Anzeigetafel, dass wir gelandet sind... (nur nicht, wo!) Die
Sicherheitskontrolle fällt übrigens aus. Es wird nur per Ausdruck
geschaut, dass wieder nur Leute einsteigen, die schon mal an Bord
waren.
20:30 Ersatzmaschine hebt ab. „That's
the same plane, isn't it? They just painted it!“ „We will see a
firework today, whether in San Diego or even before...“ Die haben
schon einen bösen Humor. Nach dem Start durch den Seerauch, der vom
Pazifik hereinzieht, ein beeindruckend glutroter Sonnenuntergang vor
LA.
21:00 Nach 20 Minuten auf 2000m entlang
der Küstenlinie landen wir in San Diego. Es gibt drei
Kofferrückgabebänder. Alle fünf angekommenen Flüge werden auf
Band 1 ausgegeben... Ein sehr netter Taxi-Fahrer aus der ehemaligen
Sowjetunion fährt mich zum Hotel. Wir haben während der Fahrt einen
gigantischen Blick auf die fünf imposanten, gleichzeitig ablaufenden
Feuerwerke. Alle Straßen sind überfüllt mit feiernden Menschen. Es
gibt nette Häuser, Einbahnstraßen und Gehsteige. Sind nett aus!
21:30 Ich komme nicht in mein
Hotelzimmer. Nach dem fünften Versuch klopft es von innen „You are
at the wrong door!“ Oha! Ich habe |5|4 als 15/4 und nicht als 1514
gelesen. Jetzt scheitert es schon an den Zahldarstellungen...
23:00 Ich falle erschöpft ins Bett.
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