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Sonntag, 3. Februar 2013

Macht? Macht nix!



Nachdem ich den Blog aufgrund einer fiesen Wintergrippe die letzten Wochen vernachlässigen musste, melde ich mich heute mal wieder mit einem kurzen Nachsatz zur Generation Y:

Das Schlüsselerlebnis ist diesmal ein längeres Gespräch mit einem Gleichaltrigen, der im Management einer größeren fränkischen Automobil- und Industriezulieferer arbeitet. Zunächst war ich beruhigt, so viele Parallelen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu sehen (es arbeiten halt überall Menschen)  und dann hat mich doch wieder das Grauen gepackt (es arbeiten halt überall fiese Menschen). Ich wage mal einen Vergleich von hierarchischen Organisationsstrukturen mit flachen, projektbezogenen:
  • Parallelen: überall muss mittlerweile lebenslang gelernt und folglich gelehrt werden, überall gibt es Verantwortung für Personal, überall muss die Organisation durch Leistung getragen werden
  • Klare Unterschiede gibt es zwischen sach- und projektbezogenen Strukturen und hierarchisch aufgebauten:
    • Projekt: Der Projektleiter ist primus inter pares, spürt die Verantwortung für seine Schäfchen, ermutigt zu Eigenengagement und Kritik, schafft die Finanzierung ran, hält dem Team den Rücken frei und hat immer ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte (könnte alles, was das Team kann, selbst auch und hat daher den Respekt erworben und disziplinarische Macht nicht nötig). Karriere machen bedeutet, sich aufgrund qualitativ hochwertiger inhaltlicher Arbeit einen Namen gemacht zu haben.
    • Hierarchie: Es gibt ein Mittleres Management zwischen sachbezogener Arbeit und den letztlich Entscheidugsbefugten, z.B. im Vorstand. Dort toben Verteilungskämpfe, in denen es an der Sache vorbei, mit volks- und betriebswirtschaftlichem Schaden und ohne Not nur um das eigene Vorwärtskommen geht. Erstaunlicherweise wird dieses System, das sehr an Nomic oder Junta erinnert, durch Geld belohnt: Wer sich durchsetzen kann, bekommt den nächsthöheren und noch besser bezahlten Job. Zum Machterhalt wird nach unten ein divide et impera-System etabliert, um das Wissen auf der Leitungsebene nicht allen Mitarbeitern zu offenbaren und somit nicht rechts überholt werden zu können. Die Arbeit wird dabei so geschickt auf die Mitarbeiter delegiert, dass Zeit für die eigentlichen Schachzüge bleibt: Auf derselben Hierarchieebene wird nämlich die Konfrontation gesucht: Zählt ohnehin meist nur die Anzahl der "Indianer", die man als "Häuptling" unter sich hat, wird darüber hinaus der Aushandlungsprozess in Sachfragen als Anlass genommen, um sich zu profilieren oder „Gegner“ als unqualifiziert dastehen zu lassen. Dazu werden Seilschaften und Bündnissysteme, durchaus auch mit protegierenden Personen auf höheren Leitungsebenen eingegangen, um im Zweifel die eigenen Ziele (ohne Anspruch auf die Optimalität der Lösung) durchfechten zu können. Wer zurückzieht, verliert nur einmal und kann sich nur durch Wechsel in eine andere, ähnliche Position an einem anderen Standort oder einem anderen Unternehmen rehabilitieren. Es geht nicht um Verantwortung, es geht nur um Macht. Karriere machen heißt also, unliebsame Mitspieler so auszuspielen, dass man unter hohem Einsatz von Arbeits- und Lebenszeit in eine Leitungsposition aufsteigt, die etwas entspannteres und gut dotiertes Arbeiten ohne Angst vor sofortiger Revolte ermöglicht.
·         Fazit: Mir schaudert. Da bleib ich lieber Wissenschaftler (für die es im obigen System zumindest "unten", wo die inhaltliche Arbeit getan werden muss, reichlich Platz gibt): dem muss man gerade so viel zahlen, dass er nicht über Geld nachdenken muss (weder bei einer anstehenden Kaufentscheidung, noch weil es ihm zu viel wird) und sich in Ruhe seiner Forschung widmen kann.

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Das Wort zu Weihnachten: Für mehr Toleranz

Anfang des Jahres habe ich ja bereits zur Zwangsläufigkeit von Reduktionismen gedacht. Nach einigen fruchtbaren Diskussionen (mit meiner Frau, auf Tagungen, mit Freunden) diesen Monat will ich den Gedanken hier nochmals neu aufgreifen und weitertreiben. Ausgangspunkt ist dabei die offensichtliche Analogie (oder tatsächlich Isomorphie?) von Radikalisierung - ich hoffe, dass ich dabei Gedanken weite und nicht unnötig reduziere. Deswegen will ich den folgendenTeil auch nicht in ein Vergleichsschema pressen, sondern als Fließtext behandeln:

Raum. Da bin ich von Berufs wegen natürlich besonders hellhörig für räumliche Reduktionismen. Unser Geist (materialistisch: Hirn) legt inhaltlich homogen und klar begrenzte Container auf die Welt, die wir mit allerlei Bedeutungszuweisungen aufladen können. Gegen diese kognitive Strategie ist kein Kraut gewachsen - dies ist unser primärer Zugriff auf die Welt. Wir können uns aber darüber im Klaren sein und dabei möglichst wenig undifferenzierte Aussagen machen. Radikalisierung droht immer dann, wenn ein Container mit seinem dazu gedachten Nutzungsanspruch normativ gesetzt wird und andere Nutzungen zumindest implizit als nicht angemessen deklariert werden. Auf unterschiedlichen Maßstabsebenen haben wir dann Nationalismus, Regionalpatriotismus oder urbane Segregation von Bevölkerungsgruppen mit allen Folgen für Machtausübung, Gewaltandrohung etc.. Eine aufgeklärte Verhaltensweise wäre wohl nicht eine möglichst häufige, provokante Grenzüberschreitung (Besuch bei den Assos? Das würde negative Images nur aufschaukeln), sondern eine Entgrenzung des Denkens: eine differenzierte Bewertung jeder Ortssituation ohne vorgefertigte Bewertungsmuster.


Geschlecht. Hier hat sich unsere Wahrnehmung im Laufe der Evolution naturgemäß (es soll ja Nachwuchs geben) auf die Leitdichotomie zwischen Mann und Frau eingeschossen. Auch wenn biologisches Geschlecht nicht eindeutig sein muss, sind es vor allem die Gender-Rollen, die sozial konstruiert über diese Leitdichotomie gelegt werden, die Ärger machen. Im besten Fall ist es wieder ein einfacher Zugriff auf die Welt, der Erwartungshaltungen auszuhandeln hilft, im schlechtesten Fall droht wieder Radikalisierung in Form von Sexismus, die bestimmtes Verhalten normativ belegt und anderes ausschließt. Leider finden sich solche schwarzen Schafe all zu oft unter Männern, die scheinbar eine reichhaltigere, komplexere Welt nicht ertragen. Als erklärter Feminist könnte ich kotzen, wenn Männer ihren Frauen unter Androhung von Sanktionen eine berufliche Laufbahn versagen. Noch irrer ist, dass es im 21. Jahrhundert tatsächlich noch Frauen gibt, die sich davon beeindrucken lassen. Eine aufgeklärte Verhaltensweise wäre demzufolge natürlich eben nicht eine wahlfreie (Über-)Sexualisierung des Alltags: aber versucht es doch mal mit aufrichtiger Anerkennung des Menschen im Anderen...

Glaube. Jetzt wird es kompliziert - hierzu muss ich eine Setzung machen: unter Glaube verstehe ich allgemein die positive Kraft, die uns Lebensmut gibt und und immer wieder neu auf's Leben hin ausrichtet, wenn uns der Mut fehlt, woher auch immer wir diese Kraft beziehen - seien es Esotherik, Parties, Reisen, andere Menschen oder der Glaube an ein höheres Wesen. Bildlich ausgedrückt ist es die Kraft, die uns dazu bringt, auf einem blauen Sandkorn, das auf ständigem Kollisionskurs durch's Weltall eiert, in aller Seelenruhe ein Haus zu bauen, eine Familie zu gründen und abends auf der Terrasse zu sitzen und den Sonnenuntergang zu bewundern. Die Leitdichotomie zwischen Leben und Tod selbst ist dagegen grundsätzlich und alternativlos. Die Radikalisierung in Form von Fundamentalismus ist dann, wenn die eigene Quelle dieser Kraft über alle anderen erhoben wird und alle anderen im besten Fall verirrte Schafe, im schlechtesten Fall Ungläubige sind, die es zu töten gilt. Eine aufgeklärte Verhaltensweise ist hier eben nicht der religiöse Eklektizismus (heute Buddha, morgen vegan, übermorgen Animismus), sondern Toleranz und Wertschätzung für die positiven Werte, die andere Menschen antreiben - und vielleicht sogar ein bisschen Freude daran.

Politik. Es ist nach den vorgenannten Beispielen, denke ich, folgerichtig, Politik als das Feld der Verhandlungen über die Ausrichtung gemeinschaftlichen Handelns auszuweisen. Radikalisierung droht hier von allen Seiten: das können Raum, Glaube oder Geschlecht und noch etliche weitere Reduktionsmen sein. Radikalisierung heißt, dass sich Menschen, die dem Schema nicht entsprechen, nicht am gemeinschaftlichen Handeln beteiligen dürfen, aus der Handlungsgemeinschaft ausgestoßen werden oder man ihnen im schlimmsten Fall ans Leben will. Eine Emazipation ist auch hier nicht durch Vermischung von Leitdichotomien (National-Sozialismus lässt grüßen) zu erreichen, sondern nur durch verantwortliches, auf das Wohl aller Menschen hin ausgerichtetes Handeln (ohne jetzt ohne weitere Prüfung einem reinen Utilitarismus das Wort reden zu wollen).

Halten wir fest: die grundlegende Gefahr aller kognitiven Strategien zur Komplexitätsreduktion ist die Institutionalisierung von normativ gedachten Diskursen in Organisationen, die eine wie auch immer geartete Ordnung überwachen sollen: Parteien und Staatsapparate, Kirchen und Glaubensordnungen, Stammtische und Strickabende. Das soll wiederum nicht heißen, dass die Staatsform der Wahl die Anarchie sein sollte, sondern nur, dass solche Institutionen die Möglichkeit und Macht zu Kontrolle ausüben können und somit die Gefahr besteht, dass diese von einzelnen Akteueren in leitenden Positionen unhinterfragt und verantwortungslos genutzt wird.

Dagegen gilt es vorzugehen und hellhörig für eine allzu einfache Deutung der Welt zu bleiben. Dazu gehört aber auch, Komplexität aushalten zu können und nicht vorschnell zu urteilen. Nutzen wir unseren Glauben, unsere positive Kraft zu leben, um das Experiment der Menschheitsgeschichte - in unserem kulturellen Kontext das Experiment Gottes - weiter voranzutreiben und uns selbst als einmaligen Versuch, als Essay Gottes, zu begreifen. Nutzen wir die beiden Triebfedern sozialer Gemeinschaft: den positiven Egoismus, im Rahmen dessen jeder in seinen Möglichkeiten seinen Gestaltungswillen zeigen kann, um institutionalisierte Hegemonien aufzubrechen und zumindest kurzzeitig anders zu denken und den positiver Altruismus, die Fähigkeit, dem anderen wirklich zuzuhören und an seinen Ideen zu wachsen - denn gerade die widersprüchlichsten und kontroversesten Ideen sind es häufig, die uns weiter bringen.

Und fangen wir damit am besten noch im alten Jahr an.

Sonntag, 23. Dezember 2012

1400 km in sechs Tagen

Rechtzeitig vor Weihnachten ist es langsam Zeit, im Blog noch ein paar Türchen zu öffnen und sich wieder mit den Ideen der vergangenen Wochen zu Wort zu melden. Die letzten Tage waren dann doch eher gut gefüllt, nachdem ich letztes Wochenende in Dortmund auf Burg Husen noch die Nachwuchstagung Raumaneignung (die haben wir uns für das Folgejahr gleich nach Bamberg aufschwatzen lassen) besucht habe und letzten Mittwoch für ein paar Stunden nach Augsburg gefahren bin, um dort eines unserer Geogames zu begleiten.

Mit Kollegen an Bord und mangels geeigneter Anbindung an den nächsten Bahnhof der jeweiligen Locations bedeutete das bei Tauwetter, Schneefall, Regen und Dunkelheit 1400km, also ca. 10% meiner jährlichen Gesamtfahrleistung auf deutschen Autobahnen:


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Mittwoch, 28. November 2012

Generation Y

Weil mir zuletzt wieder verschiedentlich von Bewerbungsgesprächen im Bekanntenkreis (mit wechselndem Erfolg) berichtet wurde und ich mit einem alten Bekannten fünf Jahre nach unserem Berufseinstieg über Chefs und Mitarbeiter sinniert habe, wildere ich diesmal in für meine Verhältnisse recht betriebswirtschaftlichen Gefilden. Interessiert habe ich diese Woche beim Stöbern im Netz zur Kenntnis genommen, dass die Generation der nach 1980 geborenen Arbeitnehmer als Generation Y bei vielen Unternehmern für Verwirrung und Kopfzerbrechen sorge:

http://en.wikipedia.org/wiki/Generation_Y
http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/generation-y-audi-personalvorstand-thomas-sigi-im-interview-a-848764.html
http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/berufseinstieg-wie-firmen-die-manager-von-morgen-sehen-a-869420.html

Weil sie sich nichts aus Geld und Titeln machen, lassen sie sich weniger leicht ködern, haben Fremdsprachekenntnisse, können gar trefflich parlieren und haben kein Problem, vor vollem Haus das Wort zu ergreifen. Was den klassischen Unternehmensstrukturen mit 3-5 Etagen aus mittlerem Management gar nicht passt: sie haben kein Verständnis für Hierarchien und stellen private Belange mitunter über den beruflichen Erfolg; mitunter fehlen ihnen allerdings auch Kritikbereitschaft und Reflektionsvermögen.

Nachdem ich nun über die Jahre hinweg immerhin schon fast zwei Dutzend HiWis angeworben und begleitet habe (von denen ich mich vielen weit über die Arbeit hinaus freundschaftlich verbunden fühle), bin ich natürlich ins Grübeln gekommen, was für mich einen guten Mitarbeiter ausmacht bzw. worum ich mich selbst natürlich auch täglich bemühe. Ich habe es einmal auf eine tabellarische Darstellung gebracht, was mir in der heutigen Arbeitswelt wichtig scheint (auch wenn es natürlich stark auf den wissenschaftlichen Kontext fokussiert):

bzgl. Teamfähigkeit Neugier Auffassungsgabe Hartnäckigkeit
Teamfähigkeit soziale Kompetenz Kontaktfreudigkeit Emotionale Intelligenz Netzwerkpflege
Neugier
Eigenmotivation Problembewusstsein richtiges Fragen
Auffassungsgabe

Begabung systematisches Lernen
Hartnäckigkeit


Fleiß

Die Spaltentitel in der Diagonalmatrix stehen dabei für die Grundeigenschaften, die Zeilen für ihre wechselseitige Anwendbarkeit aufeinander.
  • Teamfähigkeit: wer Ellenbogen ausfährt oder die Gruppe aufhält, kann heute nicht mehr weiterkommen
  • Neugier: wer nicht in sich den Wunsch hat, auf Aufgaben und Menschen zuzugehen, kann wird von den immer kürzeren Entwicklungsspannen - gesellschaftlich wie technologisch - aussortiert.
  • Auffassungsgabe: Ja, ja, die hat noch nie geschadet...
  • Hartnäckigkeit: ... und auch die preußischen Tugenden sind mit dabei.
Wenn man es recht überlegt, sind es aber gerade die vormals weichen Eigenschaften Teamfähigkeit und Neugier, die an erster Stelle stehen - wer noch nichts weiß, kann es lernen, wer dazu länger braucht, kann beharrlich sein, aber wer sich im Stile eines "lonely genius" zurückzieht oder sich gar auf Erreichtem ausruht, hat ein Problem.

Greifen wir also zumindest noch die vier Felder der "alten" im Vergleich mit den "neuen" Tugenden heraus:
  • Emotionale Intelligenz (Auffassungsgabe x Teamfähigkeit): quasi die soziale Auffassungsgabe: wie schnell kann ich bei meinem Gegenüber den richtigen Ton anschlagen und auf ihn eingehen?
  • Netzwerkpflege (Hartnäckigkeit x Teamfähigkeit): die Fähigkeit, Kontakte auch von sich aus zu pflegen und auch mal längere Pausen nicht krumm zu nehmen - natürlich gepaart mit der Eigenschaft, sich nicht jeden zweiten zum Feind zu machen; wer aneckt, irritiert.
  • Problembewusstsein (Auffassungsgabe x Neugier): Ein Gespür und auch eine Faszination für die Probleme zu empfinden, die gerade viele beschäftigen, hilft, die Fähigkeiten richtig auf das Wesentliche zu fokussieren.
  • richtiges Fragen (Hartnäckigkeit x Neugier): Wer einen Trend setzen will, muss dieses Gespür auch nutzen können, um mittels der richtigen nächsten Frage immer einen Schritt voraus zu sein und zu antizipieren, wohin die Entwicklung wohl geht.
Wenn ich so darüber nachdenke: eigentlich steuert die gesellschaftlich-technologisch mittlerweile eng verzahnte Transformation immer mehr in Richtung Schwarm: So betrachtet ist Narzismus ein Auslaufmodell und Freude am Austausch mit anderen die Zukunft. Insofern hoffe ich, dass ich immer in der glücklichen Position bleibe, mir immer wieder ein solches neugierig-fleißig-respektvoll-egalitäres Team zusammenstellen zu dürfen...

Sonntag, 18. November 2012

Anjoggen im November

Nachdem ich mich im Oktober zusammen mit Matthias verwegen zum Welterbelauf nächsten Mai angemeldet habe (um es gleich zu sagen: nur die 10km und nicht die 20 - für mich reicht's) habe ich heute nach Abstecken verschiedener Übungsrouten mal einen ersten Test über 3km unternommen. Für die lange Pause, in der ich jetzt nicht mehr gelaufen bin (gut, ich habe wohl eine gewisse Grundfitness vom Hochschulsport), war ich mit 18 Minuten ziemlich zufrieden - die waren allerdings im Flachen und irgendwie müssen wir ja auch noch den Domberg schaffen...

Der Plan sieht vor, dass ich mit 3km beginne, mich auf 5km steigere und die Referenzstrecken durch wechselseitige Kombination sukzessive auf 8 bzw. 10km steigern kann, bevor wir uns an die Live-Strecke wagen. 5km kann ein einigermaßen trainierter Mensch wohl aus dem Stand laufen und 10km sind ja "nur" das Doppelte - für einen groben Eindruck, was 10km Luftlinie dann doch bedeuten hier ein Kartenausschnitt mit (ungefähr) entsprechender Ost-West-Erstreckung...


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Sonntag, 4. November 2012

Hurrikan Sandy trifft New York. Punkt?

Räume werden im Kopf gemacht, Grenzen existieren nicht von sich aus in der Realität (eine solche vorausgesetzt), sondern vor allem in unseren Überzeugungen, die gegenüber Veränderungen sehr resistent sein können - so viel hat die jüngere Forschung der Geographie gandenlos aufgedeckt. Erstaunlich ist im Machtspiel der Geopolitik aber auch die Ausprägung der Ignoranz, nämlich das Fehlen einer Vorstellung beim vorgeblichen Fehlen einer Relevanz. Ein geopolitisches Achselzucken gewissermaßen.

Sehr schön lässt sich das zur Zeit wieder am Hurrikan Sandy beobachten. Hurrikan Sandy trifft New York. Punkt. Und vielleicht noch ein paar andere Dörfer an der US-Ostküste. Sonst ist ja nichts passiert. Um es gleich deutlich zu sagen: Ein solcher Sturm mit so vielen Toten ist eine Tragödie und die Folgen eines gleich starken Naturereignisses wären in Deutschland kaum abzusehen und der Sturm erreichte im Augenblick seiner größten Wucht diese Region. Dass aber die internationale Presse, und dazu muss ich auch die deutsche Presse als Repräsentant eines nicht unmittelbar betroffenen Landes zählen, so auf die US-amerikanische Lage fokussieren, nachdem die Zerstörungen auf der vorherigen Zugbahn Sandys ebenfalls erschreckende Ausmaße erreicht haben, stimmt mit nachdenklich, wenn nicht instinktiv wütend, da ich eine Ungerechtigkeit wähne: "Was interessiert uns, ob in Haiti, das ohnehin kaum ordentliche Häuser hat, eine Wellblechhütte umfällt? Business as usual. Ja, die Leute dort haben Probleme, aber das hat ja nichts mit uns zu tun." Tue ich den Berichterstattern unrecht? Oder ist das doch ein soziokultureller Neglect, der da auf der Wahrnehmung liegt?

Eine vorsichtige Abschätzung, in Ermangelung eines geeigneten Korpus mittels Google:
  • Suchtreffer "US hurricane sandy" 3.320.000.000
  • Suchtreffer "new york hurricane sandy": 1.470.000.000
  • Suchtreffer "haiti hurricane sandy": 89.500.000
  • Suchtreffer "cuba hurricane sandy": 83.400.000
Allein New York bekommt damit eine Aufmerksamkeit, die bei Textlinks im Web (natürlich ohne Bewertung der Korrektheit der Treffer) die 16fache Aufmerksamkeit beträgt wie bei Haiti. Von der Bilderflut für den angehenden Katastrophentouristen mit Fotostrecken von abgesoffenen Taxis, der dunklen Skyline und Ähnlichem ohne nennenswerte Bilder aus Haiti ganz zu schweigen. Auf der Seite 1 der Google Bildersuche ist mir jedenfalls kein Motiv aus der Karibik aufgefallen. Wie lässt sich das erklären?

Ein paar Hypothesen:
  1. Die Zustände in Haiti sind völlig unklar. Es ist nur klar, dass es verheerend gewesen sein muss. Es gibt keine Reporter vor Ort.
  2. Sehr viele Journalisten sind dagegen immer in New York und berichten naturgemäß zunächst aus eigener Anschauung.
  3. Alle, die ein Smartphone besitzen, sind in der Lage, Bildmaterial zu erzeugen und damit das Netz zu fluten. Wer halb am Verhungern ist wie in Haiti, hat somit im doppelten Wortsinn kaum Sichtbarkeit.
  4. In New York ist es immer das als unverletzlich gedachte Symbol, die in so vielen Hollywood-Filmen gestählte Ikone der westlichen Welt, die tatsächlich (schon wieder!) verletzt wurde. Im Verhältnis zur Erwartungshaltung ist das Bild einer überschwemmten Wellblechhütte in Haiti mit hungernden Bewohnern im Erwartungsrahmen,während ein dunkle und überschwemmte Skyline in New York, der Stadt, die ja angeblich niemals schläft, der Stadt der Träume, die den Erfolgreichen zu dem Urteil verleitet, er könne es jetzt in der ganzen Welt schaffen (wie vermessen, Erfolg in einem sehr genau umrissenen soziokulturellen Kontext zu gerneralisieren) verschreckt und verstört.
Dieser Missstand in der Berichterstattung lässt sich nicht durch einzelne Stimmen beheben, und auch wenn von meinen Hypothesen (Vorurteilen?) einiges davon zutreffen sollte, Aufdecken alleine hilft nicht und solange ich diesen Blogeitrag schreibe, reift in mir die Erkenntnis, dass zumindest ich dann auch etwas tun sollte - immerhin hat das Rote Kreuz einen eindeutigen Spendenaufruf für Haiti formuliert - und nicht für New York.

Donnerstag, 1. November 2012

Lebenszyklus des Wandels

Zumindest kurz will ich mich heute einem Thema widmen, das mich schon länger beschäftigt. Nachdem ich zuletzt Wachstum als Veränderung unter selektivem Vergessen enttarnt habe, richtet sich der Gedanke naturgemäß auf Veränderung. Wie vollzieht sich Veränderung im Alltag? Wie nehmen wir sie war? Wie wünschen wir sie uns? Wie immer können hier natürlich nur einige Aspekte angerissen, werden ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.

Da mir Wissenschaft trotz allem schon zur Gewohnheit geworden ist, will ich zunächst sammeln, was ich über Veränderung weiß. Da wäre zunächst das allwissende "panta rhei" der Vorsokratiker, die Physik des Aristoteles, in der Bewegung eine Form von Veränderung ist. Bereits hier findet sich eine Art einfacher Lebenszyklus vom Werden über eine aspektuelle Veränderung hin zum Vergehen (nehmen wir die Kategorienschrift hinzu, also vom ersten Zutreffen eines protoypisch gedachten Klimaxbegriffs an einem Gegenstand bis zu seinem letzten). Halten wir auch fest, dass es ohne ein Ablaufen von Zeit keine Veränderung geben kann und dass es, nehmen wir Augustinus hinzu ("In dir, mein Geist, messe ich die Zeit") ohne Erinnerung keine Beobachtung von Veränderung geben kann. Vermissen (Das Fehlen eines Vergangenen) und Sehnen (das Fehlen eines als zukünftig Antizipierten) werden als menschliche Grundstrebungen erst dadurch aufgespannt und dadurch die Suche nach dem Augenblick, nach dem Teilhaben an dem exakt erstrebten Maß an Veränderung (bis hin zum Flow oder der perfekten Welle, bei der die eigene Veränderung mit der Veränderung der Umwelt im Einklang steht). Und weil der Mensch Werkzeuge bedienen kann, ergeben sich zwei Möglichkeiten der Transformation, um Einklang zu erreichen. Entweder muss die Umwelt angepasst werden - durch Ortsbewegung, Veränderung des sozialen Umfelds oder des Arbeitsplatzes - das ist aber meist teuer (nicht notwendig monetär, aber zumindest (zeit-)aufwändig). Einfacher scheint die im Wortsinn patiente Lösung: Das richtige Mittel verändert meinen Körper, wenn nicht mich so, dass ich in meiner Umwelt aufgehe. Alkohol holt mich in den (nicht-erinnerten?) Augenblick, Kaffe macht mich konzentriert und munter, die Zigarette schafft als Routine des Alltags Sicherheit, Musik im Ohr schafft ein Ensemble aus Herzschlag und Gesang, das notwendige Wege überbrückt und die Schlaftablette lässt mich zur gewünschten Zeit einschlafen. Ich entferne mich langsam vom Kernthema, nur noch so viel: Es ist fraglich, wie viel davon tatsächlicher Mangel an Augenblick ist, der evtl. gar nicht durch das Werkzeug, sondern durch die Suggestion seiner Wirkung erreicht wird und wie viel davon ein allzu exakt getakteter Alltag ist - wie heißt das afrikanische Sprichwort? Ihr habt die Uhren, wir haben (die) Zeit.

Zurück zum Vorverständnis: zuletzt habe ich einiges über die kognitiven Grundlagen von Veränderung gelernt - eher beiläufig im Gespräch auf einer Fachtagung. Ich habe gelernt, dass die Gegenwart ca. 3 Sekunden dauert - das ist die Zeit, die das sensorische Echo unserer Sinne in unserem Geist (so übersetze ich als Humanist dem funktional-materiellen Kontext zum Trotz noch immer am liebsten den Gegenstand der philosophy of mind - den Unterschied zwischen Leib/Seele und body/mind als Sprachwandel in einem kulturgeschichtlichen Kontext zu untersuchen ist sicher irgendwo erforscht) nachhallt und zu einem Augenblick zusammerückt. Das Echo ist es wohl, das Aristoteles zu der zutreffenden Beobachtung kommen ließ, eine Bewegung und eine Veränderung ließen sich nur an Referenzgegenständen festmachen, z.B. indem die Sonne oder ein Ball im Flug die qualitative räumliche Konfiguration mit der Landschaft ändert (links vom Baum, über dem Baum, rechts vom Baum). Notfalls müssen wir solche Referenzen eben selbst schaffen, was mit einem Bleistiftstrich des Schattenwurfs oder einem Beweisfoto heute ja rasch geht. Ich habe zudem gelernt, und das führt uns zum spannenden Teil der Bewertung von Veränderung, dass dem durch die kognitven Notwendigkeit von Begriffen ("etwas an etwas (gedanklich") festhalten") bedingten Beharren eines kognitven Modells die simple Gewöhnung entgegenwirkt. Erst scheint uns das Neue sonderbar (absondernswert), dann bemerkenswert und schließlich sogar vertraut (verwendenswert). Mir wurde von Beispielen in der Mode berichtet, nach denen bestimmte Formen, die zunächst als abstoßend und hässlich empfunden wurden, bei kontinuierlicher Wiedervorlage immer milder und schließlich positiv beurteilt wurden. Spannend auch, dass das Vertraute schnell ins Gewöhnliche abgleitet und abgelegt wird, wenn einer positiven Irritation die nächste Vertrautheit folgt. Ganz ähnlich zu den Lebenszyklusmodellen in der Standorttheorie, nach denen nur ein unverbrauchter Ort leicht Träger einer neuen Funktion werden kann ist es wiederum teuer im Sinne von aufwändig, den Träger einer Vertrautheit (seien es Produkte wie ein Auto oder ein PC oder auch persönliche Beziehungen) durch das Setzen von neuen Irritationen immer wieder in den Raum des Bemerkenswerten zurückzuholen. Nur als Anekdote: In Zentraleuropa ist es viel wichtiger, dass ein Nachfolgemodell eines Autos Familienähnlichkeiten mit seinem Vorgänger aufweist als z.B. in Japan.

Es hängt also (wie immer) von einer bestimmten Sozialisierung und der konkreten Person ab, welcher Grad an Veränderung (anregende Irritation) und welcher Grad an Vertrautheit (wohltuende Kongruenz) nötig ist, um durch Interferenz verschiedener Lebenszykluswellen die eigene perfekte Welle aufzuspannen, in der die Kongruenz des eigenen Daseins in dichtender Kunst und Gesang auf so vielfältige Weise formuliert wird. Als Informatiker bin ich versucht, diese Eigenschaft einer Person als erwünschte Veränderlichkeit a [0..1] bezüglich eines Lebensbereichs definieren zu wollen (wobei 1-a der Wunsch nach Wiederholung, nach dem gleichbleibenden Verharren wäre). Das Abweichen von der wahrgenommenen Veränderung  in den jeweiligen Lebensbereichen bestimmt dann z.B. über Chi-Quadrat oder schlicht das Residuum das Aufgehen oder aben Nicht-Aufgehen, das Ankommen im Augenblick oder das Fremdbleiben.

Ein philosophischer Aufsatz, den ich einst im Grundstudium gelesen habe, stellte die These auf, die Wahrnehmung (Illusion?) von Ewigkeit liege nicht in der Zeitlosigkeit, sondern in der erlebten Transzendenz des Augenblicks, wenn wir uns ein Musikstück oder Film im innersten berührt, wenn in einem Gespräch mit einer geliebten Person die Welt um uns versinkt und eine Oase der Geborgenheit schafft. Wäre mein Modell der Veränderlichkeit, der Distanz zur Welt vor diesem Hintergrund ein einfaches Modell des Glücks?