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Freitag, 14. Juni 2013

Aufruf: Denken in Alternativen

Dies wird ein nachdenklicher Blog. Ein Rundumschlag des Nicht-Wissens. Eine leise Ahnung vom vielleicht nicht wissen können, wie Aristoteles es bereits formulierte. Vielleicht ein Blog über den Irrtum vom gelingenden Leben. Im Sinne der Nicht-Repräsentationalisten: Future is not a place - it's just a becoming.

Alles fängt damit an, wie Adam Smith bemerkte, dass Menschen Anteil am Schicksal anderer Menschen nehmen - und sei es nur aus dem Vergnügen heraus, Zeuge davon zu sein. Es gibt eine ganze Menge von Zeugen: Zeitzeugen, Augenzeugen, Kronzeugen. Immer geht es darum, dabei gewesen zu sein, Teil eines situativen Rahmens, vielleicht aber auch außerhalb eines solchen Rahmens, quasi im Türspalt zugesehen zu haben. Nicht immer muss es um Leid und Verbrechen, um Umstürze und Wutbürger, um Peinlichkeit und Intimität gehen. Gelingendes Zeuge-Sein fängt bei den Empfindungen des Einzelnen an, beim Regen, der auf die Haut fällt, beim Licht der Abendsonne, beim Duft der Blumen, bei Summen der Insekten, beim Lachen und Singen. Erinnerungen sind immer dann stark, wenn sie synästhetisch gekoppelt sind und seien Teile dieser Erinnerung reine Imagination. Sie prägen, was wir hoffen und sehnen, auch wenn wir es faktisch nie erlebt haben oder nie erleben werden. Es ist die Vorstellung von Situationen, in denen Verschiedenes zusammenkommt: Stimmungen, Emotionen, Orte und Menschen, im rechten Moment in der rechten Konfiguration, der rechte Satz im rechten Ohr - dann gelingt Dasein.

Wir können es dem Zufall überlassen. Fatum. Dann ist es nur Glück, ob wir glücklich sind. Dann lassen wir uns treiben, in der Hoffnung, im Besonderen angetrieben zu werden, jederzeit bereit, alles liegen und stehen zu lassen, wenn es soweit ist. Dann reicht es uns, Lose bei Lotto zu kaufen, Fußball und Formel 1 zu schauen und den Nachbarn ihr vermeintliches Glück zu neiden. Gegebenenfalls gute Ratschläge zu geben wie der Mann mit den Glasknochen in Amelie oder Obi Wan als Geist, nicht einzugreifen, hypothetisch zu handeln und nur Vergnügen zu empfinden, Zeuge der Resultate Handlungen anderer zu sein. Es kann durchaus befriedigend sein, der allweise Schiedsrichter zu sein. Bis sich die Frage stellt: Hätte ich mitspielen sollen? Wäre es mir gelungen? Dann reicht es nicht, zu schauen. Am Ende steht das Handeln.

Die Freiheit des Handelns ist unmittelbar an Verantwortung gebunden. Seit Nachtzug nach Lissabon weiß ich auch wieder, dass ich das ursprünglich bei Tugendhat gelesen habe. Die Möglichkeit zum Handeln ist Freiheit und sie ist es nicht nur, weil wir immer auch die Option hätten, es nicht zu tun, was wir gerade wollen. Natürlich gibt es alternativloses Handeln. Ohne (maßvolles) Essen und Trinken funktioniert Leben nun mal nicht. Vielleicht ist es auch nur unsere gefühlte Freiheit, die viel größer ist als die tatsächliche. In jedem Fall ist soziales Handeln keine Funktion unseres kognitiven Zustands in seiner sensorischen Situiertheit. Wir können abwägen, überlegen und uns schließlich entscheiden. Alternativlos ist Handeln aber auch immer dann, wenn es automatisiert, routiniert ist. Wenn wir nicht mehr wachsam dafür sind, wie Welt eigentlich auch noch gedacht werden könnte. Verantwortungsvolle Freiheit bedeutet nämlich Denken in Alternativen.

Die vielleicht wichtigste Form der Alternative ist der Kontrast. Eine Negation ist leicht auf alles anzuwenden. Deswegen ist die Vierfeldertafel auch nicht nur in der Philosophie als Analyse-, sondern auch in der Betriebsführung als Entscheidungshilfe sehr beliebt. Beide Merkmale nein? Gut. Beide ja? Schlecht. Eines nein? Unklar. Wirkliche Alternativen bieten sich solche einfachen, handlungsleitenden Regeln nicht. Alternativen stellen das Unhinterfragte in Frage, schieben die alltägliche Praxis im Diskurs der anderen beiseite und legen den Finger in die Wunde. Auch wissenschaftliche Hypothesen werden erst dann spannend, wenn sie eine Alternative zum bereits Bekannten aufstellen. Warum wird eigentlich immer der Sonnenuntergang als romantisch empfunden? Semiotikern fiele schon so einiges ein, vom Symbol der Transzendenz, vom Symbol des "not over yet", vom Spiel von Licht und Schatten. Und sicher ist so mancher Sonnenuntergang magisch schön. Doch verpassen wir nicht etwas, wenn wir nur auf ihn fokussieren? Die Frage allein zeigt nur den Zweifel, nicht aber eine Hypothese auf. Noch fehlt der Kontrast, das out-standing im Wortsinn, das eine kreative Alternative ermöglicht. Erst ein Spielen mit den Konstituenten einer Frage macht die Sache interessant. Wäre vielleicht ein verregneter Abend romantisch? Kaum. Aber wieso eigentlich nicht einmal auch einen Sonnenaufgang romantisch finden. Also ganz früh aufstehen und den ersten Strahl der Sonne gemeinsam genießen. Das tun wenige.

Bedenkt man es genau, sind viele Handlungen auf eine solche Weise vorgeprägt und belegt. Ich möchte es vorerst binding nennen, wenn eine Handlungsweise durch ihre Bezogenheit auf eine bestimmte Situation dem Gegenüber, auf das die Handlung bezogen ist, in ihrer Vorstrukturiertheit und Überbestimmtheit Gewissheit über die Absicht des Handelnden gibt und eine Reaktion ermöglicht. "Wollen wir uns heute Abend den Sonnenuntergang ansehen?" Pragmatikfrei sprechen wohl nur Informatiker. Es hängt natürlich von Intonation, von der Situation ab, in der gesprochen wird. Ist es mit einem scheuen Seitenblick gesprochen? Sind dabei Blumen in der Hand? Nicht immer stehen Zusatzinformationen zur Verfügung. Bereits Kommunikation am Telefon zum Beispiel schneidet Kontext ab, macht Verständigung unbestimmt. Sagt dies ein junger Mensch zu einem anderen, besteht jedoch zu der Vermutung Anlass, dass mehr gemeint ist. Es gibt unzählige weitere Beispiele für binding: In den meisten zeitgeographischen Korridoren des Alltags lernt man keine neuen Menschen kennen; man hastet achtlos aneinander vorüber. Wen man kennt, kennt man zunächst in einer bestimmten Rolle, als Kollege, als Chef, als Mitschüler, als Nachbar. Es ist zumeist kein großer, aber ein im Bezug auf die Anzahl unserer Bekanntschaften seltener Schritt, allein schon diese Rolle aufzubrechen und ein wirkliches Kennenlernen anzuregen. Es sind klar bestimmte Situationen, die zumeist dafür legitim erachtet werden. Ein Café zu besuchen. Neutraler Boden mit Notausgang. Schon eine Einladung nach Hause oder zu einem Mittagessen sind oft viel zu viel. Das kommt erst im nächsten Schritt.

Nichts ist offensichtlich schwieriger, als eine Freundschaft zu beginnen. Kann man eine Freundschaft explizit beginnen? Kann man metapragmatisch ausdrücken: "Heute beginnen wir unsere Freundschaft!"? Sie entwickelt sich, wenngleich häufig unausgesprochen, durch gemeinsame Aktivitäten, durch bewusste wechselseitige Bezogenheit des Handelns. Sie vertieft sich durch Verständnis. Sie lebt von Toleranz. Sie ist zerbrechlich. Freundschaft ist irreversibel. Sie glückt oder sie scheitert. Sie ähnelt der Liebe. Im Vertraut-Sein, im Vertrauen, im Vermissen. Nichts verletzt so sehr wie enttäuschte Freundschaft. Jeder zusätzliche Aspekt, der zwei Menschen in Freundschaft verbindet, kann bei seinem Scheitern alle anderen Aspekte mit der Unweigerlichkeit eines Damoklesschwerts in den Abgrund reißen. Wenn aber ein Freund sagt: "Einen jeden von Euch habe ich in diesen Tagen, die wir zusammen waren, aufrichtig lieben gelernt!", wenn eine Schwägerin sagt: "Ich liebe und schätze Dich sehr!", dann ist es nicht die überstrapazierte Geschlechtlichkeit, es ist das offene Herz eines Menschen, das spricht, dann Verwischen die Grenzen zwischen Familie, Freundschaft und Liebe, dann entstehen für einen Moment echte Alternativen.

Nichts ist leichter und schwieriger als zu lieben. Und ist es nicht fast lachhaft paradox, dass aus Angst vor Bindung häufig ein binding bevorzugt wird, also wie dargestellt eine vereinfachende Strukturierung der Welt, in der alle Handlungen eine klare Semantik tragen, durchsichtig sind und somit letztlich leicht ablehnbar? Dass also zusätzlich zur Schwierigkeit des Liebens die Barriere eines Sprechens über die komplizierten Spielarten von Liebe aufgebaut wird? Alleine „Ich mag dich!“ ist oft übersexualisiert, verwirrt und weckt Befürchtungen. Bei Freundschaft im Überschwang von Liebe zu sprechen, wäre heute vielerorts sozialer Selbstmord. Abseits vom alkohollegitimierenden Dunstkreis der Parties (meist phantasielos: Grillen im Sommer, Glühwein im Winter), der im Alltagsdiskurs zu weit gehende Äußerungen durch den Konsum von Bier entschuldbar macht ("Ich liebe Dich!" - "Ja, passt scho!"), ist es ein scheues umeinander Schleichen, bestenfalls der Versuch, den Kontext des gegenseitigen Kennens behutsam zu erweitern, Vertrauen zu erwerben und mit der richtigen Mischung aus Berechenbarkeit und Inspiration weiter aufzubauen. Liebe in ihrer Form als bedingungslose und aufrichtige Freundschaft, steht damit ganz oben auf der Verlustliste zeitgeschichtlicher Alltagsdiskurse. Bestenfalls alte Menschen und Kinder dürfen lieben. Alle andere stehen rasch im Verdacht ihrer Geschlechtlichkeit. Was für ein Unsinn: "Ich bin Bi, damit ich mehr Auswahl habe". Ich habe, glaube ich, in vorigen Blogeinträgen klar gemacht, dass ich kein Geschlechts-Nazi bin. Was mich stört, ist das "damit"! Wo ist die Menschlichkeit geblieben? Wo ist die Freude daran geblieben, Zeitzeuge eines wundervollen Menschen sein zu dürfen ohne ihn auf die Möglichkeit eines gemeinsamen Geschlechtsaktes zu reduzieren?

Es scheint Sitte zu werden, dass meine gesellschaftskritischen Blogs mit einem Aufruf zur Toleranz, nach vorbehaltloser Zuwendung und dem Willen, Unverständnis abzutragen, enden. Heute möchte ich den Aufruf nach Alternativen hinzufügen. Brecht die Strukturen auf, denkt Welt anders. Verstoßt gegen die Engstirnigkeit des Diskurses, zeigt, dass die Welt menschlichen Handelns bunt und nicht regelbasiert beschreibbar ist. Seid verantwortungs- und respektvoll und habt den Mut zu irritieren. Den nur Irritation, das out-standing als Kontrast zum grauen Einheitshintergrund erwartbaren Verhaltens, kann anderen die Inspiration und den Lebensmut schenken, die für ein gelingendes Leben essentiell sind.

Donnerstag, 30. Mai 2013

Die hängenden Gärten sind zurück!

Nachdem wir schon vor zwei Wochen den Balkon fit für seinen zweiten Sommer gemacht haben, hatten unsere Pflanzen das Gießen nach dem Anpflanzen nicht wirklich nötig - sie sind seitdem eher ertrunken als verdurstet. Nachdem heute morgen ein paar verlorene Sonnenstrahlen Außenaufnahmen zuließen, an dieser Stelle ein paar verspätete Impressionen vom Frühlingsanfang ;)

Die Rolle der Schlingpflanze haben wir dieses Jahr mit Erdbeeren besetzt, die das ganze Jahr Früchte entwickeln - wir sind schon sehr gespannt!


Wieder dabei sind Tomaten und Paprika. Nachdem die extra scharfen Pepperoni selbst in gemahlener Form nur zu Bruchteilen verzehrt sind, haben wir auf weitere Schärfelieferanten dieses Jahr verzichtet.


Neben den Olivenbaum, der sein winterliches Exil im Treppenhaus gut überstanden hat (und kleine Oliven trägt!), ist ein Pflanztrog mit Rose und Lavendel getreten. Mal sehen, ob an dieser geschützten Stelle Blattläuse und Mehltau etwas weniger Ärger machen als zuletzt.


Eine Mittagsblume musste natürlich auch wieder sein. Die Zuckerhutfichte strahlt in sattem Grün, auch wenn die zweijährigen Nadeln jetzt schon braun werden. Evtl. fehlt hier etwas Pflege. Der Korb links ist tatsächlich eine Herbstkomposition, die wir dort über den Winter "vergessen" haben und die wider Erwarten sehr üppig zurückgekommen ist. Nur die Blume hat eine vertrocknete Erika ersetzt.


Scheinzypresse und Buchs mussten etwas zurückgeschnitten werden (ich wusste nicht, dass Zypressen erfrieren können)


Husarenknöpfchen und Männertreu haben letztes Jahr gut im Sturm durchgehalten, daher hängen sie wieder an vorderster Front.


Die Fuchsien auf der windabgewandten Seite haben ihren neuen Standort auch gut angenommen:



Donnerstag, 9. Mai 2013

Hochzeit in Albanien!

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. So simpel ist das. Wer sich nicht ins Flugzeug setzt, kann aber auch keine neuen Orte entdecken. Dann und wann muss ich eben über meinen Schatten springen und wenn es mir gelingt, besteht eine gute Chance, eine völlig neue Welt kennengelernt zu haben.

Und so bin ich meinem Freund Matthias sehr dankbar für den Tritt hinaus zur Tür (ok, die geduldige, mehrmalige, herzliche Einladung), der mich als Gast auf seine Hochzeit in Albanien geführt hat, ein Land, dass mich verblüfft hat und das ich sehr schätzen gelernt habe. In einer Liste der schönen Orte liegen Tirana und Shkodra jetzt ziemlich weit vorne bei mir ;)
Um es deutlich zu sagen: Los Angeles z.B. mochte ich WIRKLICH nicht - und ich war auch schon da! Ich will auch bestimmt kein generelles USA-Bashing betreiben - immerhin kenne ich sehr nette Menschen von dort und habe im Juli die Gelegenheit, in San Diego wieder einen anderen Ort kennenzulernen. So frei wie in Albanien habe ich mich aber nirgens in den USA auch nur annähernd gefühlt. In einem Land, das nur Privatbesitz kennt und diesen mit Waffen schützt, macht Raumaneignung keinen Spaß.

Ich will den eigentlichen Reisebericht kurz halten und eher die Bilder sprechen lassen, von denen wir in vier Tagen sagenhafte 518 geschossen haben - eine kleine Auswahl will ich nun im Folgenden kurz vorstellen.

Leider keine Bilder gibt es vom ruhigen Hinflug über die Schluchten des Balkan mit schneebedeckten Bergen, die im Sinkflug auf Tirana bald mediterranem Grün, Flüssen, Stauseen und sanft geschwungenen Stränden wichen. Der Flughafen Tirana gleicht eher einem Bahnhof mit zwei Gleisen. Es gibt gefühlt einen Standplatz für angekommene und einen Standplatz für abfliegende Flugzeuge.

Mit dem Shuttle-Bus ging es in die Stadt, vorbei an wild gewachsener Bebauung, die sich ineinander schachtelt. Keine Stadtplanung hemmt die seit dem Bürgerkrieg vor 15 Jahren laufende Hyperurbanisierung. Wo ein Grundstück frei ist, wird es bebaut. Erst seit Kurzem wird auf öffentlichen Grünflächen radikal gegen Kioske vorgegangen. Die Folge sind enge Gässchen, geringe Abstände zum Nebenhaus und abenteuerliche Konstruktionen, wenn ohne größere statische Berechnungen das Haus um ein Stockwerk erhöht wird. So muss es im 19. Jahrhundert unter dem Ansturm der Industriearbeiter auch in der mitteleuropäischen Stadt ausgesehen haben. Mitunter kommen jedoch auch solche Schmuckstücke heraus wie unser Hotel in der Studentenstadt (Qyteti Studenti), das für den Druck in der Wasserleitung auch nur ein Stockwerk zu hoch ist, so dass es nur etwas Geduld braucht, bis wieder Wasser kommt:


Gleich am ersten Abend noch haben wir unter Matthias' Führung einen benachbarten Hügel erklommen, wo alternder sozialistischer Beton um die Statue der "Mutter Albanien" der liebevollen Pflege des umgebenden Parks keinen Abbruch tut. Überhaupt ist den Einwohnern trotz der Dichte Grün in der Stadt sehr wichtig. Wo immer möglich sorgen Grünpflanzen, die täglich gewässert werden, für Frische und Verweilqualität. Hier der Blick auf die Stadt:


Nach einem Abstecher in einen albanischen "Biergarten" mit Streichelzoo (neben Pfauen und Ziegen auch drei ausgewachsene Bären - Poldi lässt grüßen) fand die kleine Reisegruppe am Abend im Garten des Lion Parks zum ersten albanischen Abendessen zusammen - wirklich schmackhafte Pizza!

 

Am Vormittag des zweiten Tags ging es auf Stadtexkursion. Neben verschiedenen Gebäuden von öffentlichen Einrichtungen (Stadion, Uni, Ministerien, ...) sahen wir auch immer wieder den morbiden Charme der Überbleibsel der sozialistischen Diktatur wie diese Pyramide (wer genau hinschaut, sieht sie mich gerade erklimmen):


Aus Angst vor Aggression aus dem Ausland wurde Albanien im Sozialismus mit einem engmaschigen Netz von Bunkern überzogen - beinahe die ganze Bevölkerung hätte sich in einer Krise in diese zurückziehen können und die Waffe auf einrückende Armeen richten können. Einer dieser Bunker ist in Tirana als Monument aufbereitet:


Im "Block", dem Bereich Tiranas, der nur dem engsten Umfeld des Diktators zugänglich war, liegt die Villa von Enver Hoxha, der das Land bis 1985 kontrollierte:


Der Anteil an Lohnarbeit ist in Tirana außerhalb des öffentlichen Dienstes sicher gering. Die Arbeitslosigkeit ist aber nicht deren Gegenteil: irgendwo findet jeder zumindest ein bescheidenes Auskommen durch informellen Handel, informelle Produktion oder eine informelle Dienstleistung. Die Folge ist hier und da ein bisschen Wohlstand und solche basarartigen Gassen, in denen "Original" Bayern-Fanartikel verkauft werden.


Am Nachmittag fuhren wir mit der Seilbahn, die dank österreichsicher Expertise dort nach dem neuesten Stand der Technik aus dem Boden gestampft wurde, auf den Dajti, den Hausberg Tiranas:


Von dort hatten wir einen imposanten Weitblick:


Den Abend ließen wir in der Qyteti Studenti bei Lemon Soda und Raki ausklingen:


Am nächsten Tag stand eine Busexkursion auf dem Programm. Mit einem in Deutschland sicher schon vor 20 Jahren ausgemusterten Mercedes T1 fuhren wir zu dreizehnt(!) über die mittlerweile gut ausgebauten albanischen Straßen. Zwar brauchte der Oldie am Berg an einer Stelle eine kurze Verschnaufpause und etwas Kühlwasser (und der Fahrer kam nicht wirklich mit dem Fernlicht zurecht), brachte uns aber gut ans Ziel. Sicherheitsgurte waren freilich nicht zu erwarten - trotz offizieller Gurtpflicht wird belächelt, wer danach sucht. Anekdote: In einer Polizeikontrolle führte uns der Fahrer als Wahlbeobachter ein, was uns eine rasche Weiterfahrt garantierte:


In Kruja konnten wir einen Blick auf die typischen Begleiterscheinungen von geballtem Tourismus in einem Transformationsland erleben: Von allen Seiten werden beim Weg auf die Burg Andenken in Form von Schnaps, Textilien, Flöten und vielem mehr angereicht:


Top- und eigentlich einzige Sehenswürdigkeit, die dem Treiben zugrund liegt, ist die Skanderbeg-Burg, also die Burg des gleichnamigen albanischen Raubritters, der im 15. Jahrhundert die Osmanen zwei Jahrzehnte zum Narren und im Schach hielt. Die Stätte ist also eine Art Nationalheiligtum und überfüllt mit Schulklassen:


Hier unser ortskundiger Führer beim Erläutern der geographischen Sachverhalte:


In Shkodra, gleich an der Grenze zu Montenegro, wurden wir von einem Regenschauer überrascht, der aber die satt grüne Landschaft rund um die gigantische Ruine des bereits in der Antike besiedelten Festungshügels Rozafa nur umso imposanter erscheinen ließ:





In Shkodra selbst, einer christlichen Hochburg (in der der Islam, wie überall in Albanien in seiner gemäßigtem Form, aber allgegenwärtig ist), verbrachten wir den Abend in einer der ersten Fußgängerzonen Albaniens.



Am vierten Tag stand das Haupt-Event an: eine albanisch-deutsche Hochzeit! In der Kirche Don Bosco wurde die Ehe geschlossen.


Hier das Brautauto (unseres Wirts!) - das wir in den frühen Morgenstunden zusammen mit Matthias' Eltern liebevoll mit Blumen geschmückt hatten:


Das glückliche Brautpaar, auf dem Bild darunter mit Eltern:



Zurück im Hotel wurde bei albanischen Tänzen wild gefeiert - allerdings nur wenige Stunden. Nach dem Überreichen der Geschenke zieht sich die albanischen Familie traditionell zurück.


Das Anschneiden der Torte. Ja, ja, wer hat die Hand oben? ;)


Am nächsten Tag stand auch schon der Rückflug auf dem Programm - man soll ja leider aufhören, wenn's am schönsten ist. Der Schönheit gewaltiger Quellwolken, die ich zum ersten Mal in meinem Leben von oben gesehen habe, stand der Anblick von München bei Nacht im Landeanflug in nichts nach.

Kurz: Albanien, wir kommen wieder und alles Gute für das junge Ehepaar!!


Samstag, 27. April 2013

Kreatives Gästebuch

Nachdem sich die Notiztafel in unserem Eingang zu einer Art Gästebuch für zufriedene Besucher entwickelt hat möchte ich hier ein paar der gelungenen Kleinkunstwerke präsentieren, bevor sie Wasser und Küchentuch anheimfallen und wir den Platz wieder für langweilige Aufgabenplanung und Besorgungsmarker verwenden ;)





Samstag, 6. April 2013

Kino um Ostern

Nachdem ich mich ja zuletzt schon als Kritiker für Bilder und Musik versucht habe (was ziemlich Spaß gemacht hat, mir aber auch zurecht Schelte von Kennern eingebracht hat) will ich mich heute ans Kino wagen, nachdem wir zuletzt zwei Filme gesehen haben, die mich schwer beeindruckt haben.

1) Die Puppe, ein deutscher Stummfilm von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1919. Ein Film, als das Kino gerade erst Laufen lernte, in der besuchten Aufführung untermalt vom Percussion-Ensemble unserer alten Schule, des KHG.
Der Neffe eines reichen Adeligen soll heiraten und flieht vor dem Ansturm der Bewerberinnen ins Kloster. Dort wird das bigotte Klosterleben in seiner Genusssucht karrikiert, bevor seine Mitbrüder im Wissen um die reichhaltige Mitgift ihn überreden, zum Schein eine Puppe zu ehelichen. Ein Puppenmacher, der geeignete Exemplare fertigt, die neben einem Lauf- und Gruß- auch über ein Tanzprogramm verfügen, ist rasch gefunden. Dessen Antagonist ist wiederum sein Lehrling, der flegelhaft und scharfzüngig die Familie seines Herrn in den Wahnsinn treibt. In Abwesenheit seines Lehrmeisters ruiniert er die Puppe, die dieser nach dem Abbild seiner Tochter gefertigt hat, nachhaltig. Dumm, dass genau diese Puppe der reiche Neffe zuvor ausgewählt hat. So entschließt sich die Tochter, anstelle der Puppe zu treten, bis der Lehrling das tatsächliche Exemplar repariert hat.

Das großartige an dem Film ist aus meiner Sicht, dass es zu dieser Zeit noch keine festen Genres gab, keine klare Trennung zwischen Zielgruppen und keine erprobten Kameraeinstellungen gibt. Alles bewegt sich zwischen Shakespears Wanderbühne, Theater und Tanz-Choreographie. Genial ist, wie die Kulissen von Anfang an als Konstruktion transparent gemacht werden - bis hin zu den Pferden, die definitiv von menschlichen Statisten gespielt werden und dies zum Ende hin dadurch kund tun, dass sie sprechen können. Großartig ist auch, wie sich der Fokus der Handlung mehrmals verschiebt - es gibt kein klares und langweiliges Setting, in dem nur Orte und Personen vorgestellt werden, die auch für die Handlung relevant sind. Einzig das Schloss des Onkels und das Kloster treten mehrfach auf. Nach einem bunten Tanzreigen offenbart sich erst zur Mitte des Films der - ebenso wie die Tochter wirklich brillant gespielte - Lehrling als wahrer Puk, der von da ab beinahe einen eigenen Handlungsstrang neben dem heiratsunwilligen Neffen erhält. In seiner Ursprünglichkeit beeindruckt, dass das Stück davon abgesehen völlig zeitlos ist.

2) Nachtzug nach Lissabon, ein aktueller Film nach einem Roman von Pascal Mercier.
Ein Lateinlehrer, der als Prototyp eines verkrachten und vereinsamten Intellektuellen eingeführt wird, zugleich ein wahrer Philanthrop, rettet früh morgens eine junge Frau, die von einer Brücke in den Tod springen will. Unschlüssig nimmt er sie zunächst mit in die Schule, wo sie aber bald aufspringt und aus dem Zimmer läuft. Zurück bleibt ihr Mantel, in dem sich neben einem Ticket nach Lissabon mit dem Nachtzug ein Bändchen mit Lebensweisheiten eines gewissen Amadeu de Prado findet. Inspiriert vom Büchlein und kurzenstschlossen macht sich der Lehrer auf den Weg, lässt sein bisheriges Leben hinter sich und fährt mit dem Ticket nach Lissabon. Dort erfährt er zwar, dass Amadeu de Prado zwar zwischenzeitlich verstorben ist, macht sich aber dessen ungeachtet sofort daran, dessen Leben und Wirken zur Zeit der portugiesischen Diktatur in den 1970er Jahren zu ergründen und Zeitzeugen zu befragen.

Gleich zu Beginn des Films sind es die Lebensweisheiten und klaren, schönen Worte, die begeistern. Natürlich ist die Reise nach Lissabon auch in diesem Fall nur Metapher für den Weg zu sich selbst und das Ringen um die richtige Entscheidung. Ich zitiere mal aus dem Kopf (die DVD kommt leider erst im September): "Was ist mit all den Leben, die wir fühlen, aber nicht leben können?", "Es kommen jedes Jahr neue Schüler, deswegen versuche ich, sie nicht zu sehr zu lieben!" und "Das Wesentliche im Leben sind Sehnsucht, Genuss und Sicherheit." Zugleich habe ich mich an Horns Ende erinnert gefühlt - die eigentliche Hauptperson ist tot, ihr Wirken und ihre Bedeutung jedoch noch nicht hinreichend gewürdigt und so beginnt eine detektivische Suche nach dem, was damals geschah, als Amadeu de Prado unter der humanistisch inspirierten Prämisse "Kein Mensch soll leiden!" eines Albert Schweitzer als Arzt im faschistischen Portugal wirkt und darüber zum Widerstand kommt.

Auf beinahe unheimlich merkwürdige Weise hat mich dieser Film in seinem Bann gezogen, indem er für mich philosophische Forschung mit Entscheidungstheorie unter beschränkter Zeit (Heideggers Sein zum Ende?) verknüpft, wie sie mein Chef erforscht. Wie sollen wir handeln? Wie sehr mich dieser Film als Mensch und Forscher betrifft, habe ich eben erst begriffen, als ich zum Autor des zugrunde liegenden Romans recherchiert habe. Peter Bierri, der unter dem Pseudonym Pascal Mercier literarisch publiziert, ist Schüler von Ernst Tugendhat, zu dem ich im Studium von meinen akademischen Lehrern einiges vermittelt bekommen habe, und hat dort zur Zeiterfahrung promoviert. Ein verblüffender Verweis auf meine eigene informatische Forschung zur touristischen Entscheidungsfindung unter beschränkten Zeitressourcen, findet sich insofern, als sich Bieri mit seiner Analytischen Philosophie des Geistes intensiv mit den Kognitionswissenschaften auseinandergesetzt hat und dennoch als Tugendhat-Schüler natürlich dessen Freiheitsbegriff weiterentwickelt hat. Deteminismus und Freiheit sind bei ihm kein Widerspruch. Ich staune noch immer und muss glaube ich in den nächsten Wochen einiges lesen, das ich in meinen eigenen Notizen nur als unvollendet finde...

Zurück zum Thema: zwei ganz klare Empfehlungen, sich diese Filme nicht entgehen zu lassen, wann immer Gelegenheit dazu besteht!


Samstag, 9. März 2013

Für mehr Menschlichkeit

Der heutige Blog wird sich wieder einmal mit meinem Unverständnis beschäftigen. Ich kritisiere ja gerne und oft, aber Eines will mir einfach nicht in den Kopf: wieso sind so viele Menschen mit so wenig zufrieden, selbst wenn sie dadurch selbst am meisten leiden? Ich will mit drei Ausgangsbeobachtungen beginnen:

- Viele Menschen haben einen Hang zu Leitdichotomien. Egal ob es die Mann-Frau-Geschichte, Vorurteile über das äußere anderer Menschen oder das ständische Gehabe bestimmter Berufsgruppen sind.
- Diese Leitdichotomien strukturieren offensichtlich das Leben dieser Menschen und geben ihnen Orientierung. Perverserweise empfinden sie das als wohltuende Einfachheit, als "die Welt in Ordnung bringen", wenn mit einer einzigen begrifflichen Differenz schon klar scheint, was zu tun und wie zu handeln ist. Das hat natürlich etwas mit Erwartungshaltung zu tun. Weiß ich, was "in Ordnung" ist, gehe ich davon aus, dass es mein gegenüber auch weiß und wir die Einigkeit darüber nicht erst mühsam aushandeln müssen. So funktionieren Diktaturen und Faschismus, so funktioniert aber auch die alltägliche Ausgrenzung von allem, das die eigene Identität und somit den primären Zugriff auf die Welt bedrohen könnte.
- Tritt die Bedrohung ein, brauchen solche Menschen eine Bezugsperson, die ihnen sagt, was sie zu tun haben. Diese Rolle können Demagogen aller Art, Populisten und Radikale aller Art füllen. Ich verstehe langsam: Radikal zu sein bedeutet, ein übergeneralisiertes Konzept trotz mangelnder Passgenauigkeit auf die Phänomene des Alltags "einfach" durchfechten zu wollen. Etwas harmloser, aber ebenso sinnlos ist der Versuch, Einfachheit durch den bewusst gesuchten Verlust von Kontrolle herzustellen. Sex, Drogen, Alkohol.

Was ich nicht verstehe: warum bereitet es so viel Menschen so große Schwierigkeiten, auch nur ein bisschen Komplexität im Leben auszuhalten? Es kann doch so unglaublich bereichernd und inspirierend sein, sich mit dem Unterschiedlichen auseinanderzusetzen, mit dem Widersprüchlichen und einer Wirklichkeit, in der, um es gleich vorweg zu nehmen, das wichtigste der Respekt vor dem Da-Sein der anderen ist!

Ich denke hier an die momentane Debatte um die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare. Ich denke an die Beispiele, von denen ich weiß. In denen ein Leben in Einsamkeit, die Folge eines unerfüllten Kinderwunsches ist, weil die "Ordnung" einem Menschen wie jedem anderen das Recht auf Erziehung eines Kindes abspricht oder in denen engagierten Christen ein Dienst an der Kirche versagt wird, weil sie die Regeln verletzen. Ich will hier nicht darauf eingehen, dass unsere Gesellschaft sich sicher weiterentwickelt hat und das Schicksal eines Alan Turing heute nur noch für Entsetzen sorgen kann und eben nicht mehr in Ordnung ist. Ich will hier umgekehrt auch gar nicht auf die haltlosen Argumente konservativer Politiker eingehen, die einen Gegensatz von Ehe und Familie und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften konstruieren, wo keiner ist. Ich will auf den grundlegenden Gegensatz, die Leitdichotomie von männlich und weiblich eingehen, die immer noch im Alltag gedankenlos reproduziert wird. Und ja, ich meine damit auch den #Aufschrei, der durch's Web wabert. Natürlich wird die Leitdichotomie Frau von dieser unsäglichen Unzahl von Männern reproduziert, die (kann sich das im Laufe der Evolution als nützlich für das Entstehen einer Nachkommenschaft erwiesen haben?) in derselben einfachen Empfindung, in der sie überwältigt von ihrer Wahrnehmung, die Kontrolle über sich selbst verlieren, eigenartig anzügliche Zuschreibungen machen, die eine einigermaßen gebildete Frau nur sprachlos zurücklassen können. Obwohl ich mich so sehr als Gegner einer solchen Praxis fühle, dass ich mich in gewisser Weise als Feminist fühle, verwundert mich auch die Reaktion, die sie diese Leitdichotomie ja implizit bestätigt.

Mir ist klar, dass ich hier mit der Fortpflanzung an den wohl basalsten Triebe rühre, der ja wohl ursächlich an der Mann-Frau-Differenz beteiligt ist, es kann nicht das Ziel sein, diesen wegleugnen. Mein Forderung ist jedoch noch grundlegender: So basal die Leitdichotomie des Geschlechtlichen auch sein kann, wieso vergessen wir darüber die einfache Tatsache des zugrunde liegenden Menschseins? Die Lage ist doch wohl folgende: solange ich mir Gedanken darüber machen muss, ob ich als Frau weiblich genug bin oder solange ich als Mann zur Männlichkeit angehalten werde, ist menschliches Leben schlicht unglaublich viel ärmer, als es sein könnte.

Die Forderung: Weg mit Männer-Domänen, weg mit zelebrierter Weiblichkeit? So einfach und leicht ist es sicher nicht. Aber etwas mehr (Mit-)Menschlichkeit, etwas mehr Anteilnahme, ja vielleicht sogar wohlwollendes Interesse an den Menschen, die mit uns leben und genau wie wir ein glückliches Leben, einen gelingenden Selbstvollzug von Dasein wünschen, sollten wir aufbringen können. Ich wünsche mir, dass mehr Menschen im Alltag den Mut haben, diese unsäglichen Gender-Klischees permanent zu karrikieren, zu übertreten und ad absurdum zu führen. Mehr Frauen, die Fußball spielen, mehr Männer, die Pilates machen! Weniger schlechte Witze und mehr Respekt! Erst wenn wir in unserem Gegenüber vor allem einen anderen unserer Selbst, ein menschliches Wesen erkennen, sind wir wirklich vollends fähig, dem besonderen Menschen in unserem Leben aufrichtige und wirkliche Liebe zu schenken.

Sonntag, 3. Februar 2013

Macht? Macht nix!



Nachdem ich den Blog aufgrund einer fiesen Wintergrippe die letzten Wochen vernachlässigen musste, melde ich mich heute mal wieder mit einem kurzen Nachsatz zur Generation Y:

Das Schlüsselerlebnis ist diesmal ein längeres Gespräch mit einem Gleichaltrigen, der im Management einer größeren fränkischen Automobil- und Industriezulieferer arbeitet. Zunächst war ich beruhigt, so viele Parallelen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu sehen (es arbeiten halt überall Menschen)  und dann hat mich doch wieder das Grauen gepackt (es arbeiten halt überall fiese Menschen). Ich wage mal einen Vergleich von hierarchischen Organisationsstrukturen mit flachen, projektbezogenen:
  • Parallelen: überall muss mittlerweile lebenslang gelernt und folglich gelehrt werden, überall gibt es Verantwortung für Personal, überall muss die Organisation durch Leistung getragen werden
  • Klare Unterschiede gibt es zwischen sach- und projektbezogenen Strukturen und hierarchisch aufgebauten:
    • Projekt: Der Projektleiter ist primus inter pares, spürt die Verantwortung für seine Schäfchen, ermutigt zu Eigenengagement und Kritik, schafft die Finanzierung ran, hält dem Team den Rücken frei und hat immer ein offenes Ohr für Sorgen und Nöte (könnte alles, was das Team kann, selbst auch und hat daher den Respekt erworben und disziplinarische Macht nicht nötig). Karriere machen bedeutet, sich aufgrund qualitativ hochwertiger inhaltlicher Arbeit einen Namen gemacht zu haben.
    • Hierarchie: Es gibt ein Mittleres Management zwischen sachbezogener Arbeit und den letztlich Entscheidugsbefugten, z.B. im Vorstand. Dort toben Verteilungskämpfe, in denen es an der Sache vorbei, mit volks- und betriebswirtschaftlichem Schaden und ohne Not nur um das eigene Vorwärtskommen geht. Erstaunlicherweise wird dieses System, das sehr an Nomic oder Junta erinnert, durch Geld belohnt: Wer sich durchsetzen kann, bekommt den nächsthöheren und noch besser bezahlten Job. Zum Machterhalt wird nach unten ein divide et impera-System etabliert, um das Wissen auf der Leitungsebene nicht allen Mitarbeitern zu offenbaren und somit nicht rechts überholt werden zu können. Die Arbeit wird dabei so geschickt auf die Mitarbeiter delegiert, dass Zeit für die eigentlichen Schachzüge bleibt: Auf derselben Hierarchieebene wird nämlich die Konfrontation gesucht: Zählt ohnehin meist nur die Anzahl der "Indianer", die man als "Häuptling" unter sich hat, wird darüber hinaus der Aushandlungsprozess in Sachfragen als Anlass genommen, um sich zu profilieren oder „Gegner“ als unqualifiziert dastehen zu lassen. Dazu werden Seilschaften und Bündnissysteme, durchaus auch mit protegierenden Personen auf höheren Leitungsebenen eingegangen, um im Zweifel die eigenen Ziele (ohne Anspruch auf die Optimalität der Lösung) durchfechten zu können. Wer zurückzieht, verliert nur einmal und kann sich nur durch Wechsel in eine andere, ähnliche Position an einem anderen Standort oder einem anderen Unternehmen rehabilitieren. Es geht nicht um Verantwortung, es geht nur um Macht. Karriere machen heißt also, unliebsame Mitspieler so auszuspielen, dass man unter hohem Einsatz von Arbeits- und Lebenszeit in eine Leitungsposition aufsteigt, die etwas entspannteres und gut dotiertes Arbeiten ohne Angst vor sofortiger Revolte ermöglicht.
·         Fazit: Mir schaudert. Da bleib ich lieber Wissenschaftler (für die es im obigen System zumindest "unten", wo die inhaltliche Arbeit getan werden muss, reichlich Platz gibt): dem muss man gerade so viel zahlen, dass er nicht über Geld nachdenken muss (weder bei einer anstehenden Kaufentscheidung, noch weil es ihm zu viel wird) und sich in Ruhe seiner Forschung widmen kann.