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Freitag, 5. Juli 2013

5:30: Rangiervorgang beendet (There and back – a desparate computer scientists tale)

3:50: Aufstehen.
4:42: Ich hasse Abschiede am Bahnsteig. Ich hätte meine Frau lieber dabei. Ich versuche, in Tagen zu rechnen. T-9.
5:30 Schichtbeginn in Schweinfurt: Der Zug füllt sich seit Hassfurt mit Blaumännern. Jeder kennt jeden. Es geht darum, wer wann gestern zu viel oder zu wenig getrunken hat und ob gezieltes Training Muskeln bringt. Der Zug kommt wirklich mal pünktlich in Würzburg an.
6:30 Nebel über den Feldern vor satt dunkelgrünen Hängen. Franken.
7:00 Sie studieren Sport und Religion. Auf Lehramt. Sie lernen Dichotomisierung und Dialektik (auswendig), können es aber nicht aussprechen (Discho-tom... was is des?), geschweige denn, dass sie verstünden, was es bedeutet. Es geht nur darum, wie man leicht an seine ECTS kommt und welche Themen wahrscheinlich dran kommen...
7:30 Manager nutzen offensichtlich Handlungsspielraum, sie explorieren ihn nicht (Den Geisteswissenschaftler, die Handlungsspielraum schaffen, zahlt niemand was.). Sie gehen im Erwartungsrahmen auf (Anzug, Reden über Porsche, Aktentasche, Designen emsig Marketingfolien) – wird in Frankfurt noch produziert oder nur verdient? Es geht um steigende und sinkende Preise.
7:30 Idee nach Lektüre: Die Illusion ist die gefühltenSicherheit, nicht das sich als Person empfindende Subjekt, das ist Daseinsgewissheit. Die Überwindung der Sicherheit ist ein Aspekt von Freiheit.
8:00 An der Passkontrolle: „I'm a tipper. I always give a tip. But the Germans keep it unless you want it back.“
8:30: Am Scanner: „Zeigen sie mal Ihren vielen Medikamente! - Herzallerliebst! Sie fliegen dat erste Mal, wa?“ Sag halt einfach, dass ich das Zeug mitnehmen darf...
9:20: Das Boarding beginnt NICHT. Die Lebenserhaltungssysteme (oder so) im ursprünglich geplanten Flugzeug funktionieren nicht. Es werden 25 Minuten in Aussicht gestellt. Das würde mir kaum zu Imigration, Koffer umbuchen und boarden reichen. Mir wird im Fall der Fälle eine ad hoc Umbuchung in Houston in Aussicht gestellt. Ganz hinten unter den Wartenden entdecke ich Oma Yedda. Gut, jemanden, der so aussieht, wie … vor 20 Jahren ausgesehen hat.
9:50: Boarding beginnt faktisch. Die Deutschen schaffen es nicht, sich in two lines upzurowen, die Amis sind sauer. Der Pulk drängelt einfach durch, obwohl nach Reihen aufgerufen werden sollte. Die ganz hinten brav Wartenden (inkl. mir) werden zur Business Class durchgewunken, nachdem das Boarding hier abgeschlossen ist. Neben mir ist sogar ein Platz frei! Ich hätte Anette doch mitnehmen sollen.
10:30: ca. Take-off: Europäische Wertarbeit. Schnurrt, beschleunigt, zieht ansatzlos nach oben. Und der A-380 ist wirklich ein Riesending! Der Kapitän beruhigt: Arrival on time still possible. Schaun wer mal. Ich seh mich von meiner neuen Kreditkarte schon schöne kalifornische T-Shirts kaufen...
11:30: Nordsee. Ein indisch-stämmiger Amerikaner und ein BWL-behemdeter Deutscher mit nach oben operierten Mundwinkeln streiten sich, ob der Sitz so weit nach hinten geklappt werden darf, dass er dem Inder (sorry, dem non-european-ancestor-ooking-American) im Gesicht hängt. Die Stewardess kann keinem der beiden als Deeskalationsstrategie den freien Sitz neben mir vermitteln. Der Deutsche bekommt leider Recht und kostet es weidlich aus. Der Konflikt schwelt.
12:00: Komisch: ich tipp hier und schau mir wie immer die Route auf dem Bordmonitor an (der A-380 bietet 3D-Animationen der gerade überfolgenen Landschaft, die anderen glotzen fern oder schnarchen. Keine Manager, die was arbeiten wollen? Ach so, heut ist ja Feiertag... Die Nackenhörnchen- und Kissenrate ist bedrohlich hoch.
12:15: wird umfliegen den britischen Luftraum ungefähr in der 30-Meilen-Zone. Was ist da los? Es riecht nach Lunch. Angekündigt sind auch noch zwei Snacks und Dinner. Genau, macht mal was für mein schönes Projektgeld. Wenn jeder hier drin das gleiche bezahlt hat wie ich und kein riesen Reingewinn drin steckt, kostet ein Transatlantikflug mit der A-380 samt Personal ein hübsches freistehendes Einfamilienhaus in Oberhaid. Wow! Der Konflikt ist bereinigt. Nachdem der Deutsche eine Dreiviertelstunde Reht hatte, klappt er den Sitz nach oben.
12:30: Mint erkennt mein Headset, mag es aber nicht als Standard-Audiogerät verwenden. Der komische Billighöhrer, der für die reichhaltige Videothek (Trash, Trash, Trash) des Bordcomputers beilag, ist nicht genormt und liefert mit seinem tollen Doppelstecker nur Sound auf dern rechten oder dem linken Ohr. Super, jetzt ist auch noch der eine Kopfhöhrerschutz abgerissen. Ist eh zu laut für Musikgenuss. Restliche Flugzeit 8:21 Std , restlicher Akku 5:55 Std. Gut, dass ich zwei Notebooks im Handgepäck hab ;)
13:15: Island-Tief über Island. Schade. Jetzt seh ich wieder nicht, wohin der Schatten des Scartares fällt und dabei sind fast genau die Kalenden des Juli... Wäre ich nicht Geograph müsste ich mich demnächst fragen, wo die Grenze zwischen Europa und Amerika genau verläuft. Ist auf Wikipedia aber sicher geklärt. Mittagessen in der Alu-Schale. Richt wie warmer Audi, schmeckt aber brauchbar. Dazu Zitronentörtchen. Uäh, Putzmittel...
16:00: Habe tatsächlich fast drei Stunden an meinem Trackanalyse-Tool gebastelt. Warum nur sieht der eigene Code nach einem halben Jahr ohne Arbeit daran grässlich bis inkompetent aus? Da darf ich noch ein bisschen basteln, bis ich da geeignete Maßzahlen für Erlangen beisammen habe. Mittlerweile habe ich wolkenlose Blicke auf Grönland und Kanada erhascht! Mein Reihennachbar, den ich bislang als Schnarcher im Verdacht hatte, ist gerade mal nicht da (wo er gerade ist, sieht es wüst aus – ich werde mir weitere Besuche bis zur nächsten Landung verkneifen) – es schnarcht aber immer noch; etwas weiter drüben, dafür umso lauter. So kann man sich täuschen... Gleich gibt es noch die Zoll-Zettel zum Vorausfüllen. Richtig, da war damals was... Immerhin scheinen wir mittlerweile wirklich wieder im Zeitplan. Halbe Stunde bis zur Hudson-Bay, dann überfliegen wir nur noch Land
13:55 (Houston Time): got contact. Die Erde hat mich wieder. 33°C in Texas. Procedere von hier: Immigration, Koffer holen, custom protection, Koffer aufgebe, Sicherheits-Scan, Terminal suchen, boarden. Ach ja, das alles vor 15:15 Uhr
14:30 Immer noch an der Immigration. Der texanischen Beamte hat zwar ein mahnendes Poster (you are the face of our nation!) hinter sich hängen, scheißt aber trotzdem jeden an.
14:45 Der Koffer kommt als einer der ersten. Jei, das kann klappen!
14:50 Der Zoll ist völlig überfüllt und winkt einfach nur durch.
14:55 Der Koffer ist wieder aufgegeben
15:00 Horror! Ca. 300 Leute am United-Sicherheits-Scan vor mir! Aber im Queues abarbeiten sind Amerikaner unübertroffen. Ein humorvoller Beamter an der Scan-Station lacht mit mir gemeinsam darüber, dass es auf deutsch so herrlich kompliziert „Bitte warten Sie doch noch kurz dort drüben!“ heißen würde. Immerhin fragen tatsächlich Leute erst mal, woher man kommt und wie das bei einem daheim funktioniert. Ein murfiger Franke hätte wahrscheinlich auch „do bleibsd steh!“ gesagt. Ohne Nachfrage.
15:15 Gescannt, Schuhe wieder an. Die Frau an der Security-Schleuse ist über meine Übereifrigkeit, kontrolliert zu werden, so amüsiert, dass sie lacht: „Relax, man! Happy Indipendence day!“ Der Flug ginge jetzt.
15:22 Ein United-Mitarbeiter erklärt mir, dass die Abflugtafel nicht nach Zeit, sondern nach Alphabet sortiert ist – und dass mein Flug auf 16 Uhr delayed ist! Yippieh!
16:00 Eine echte Texanerin am Tresen. Scheißt die Leute zusammen und tanzt gleichzeitig mit Hüftschwung die Zeit tot.
16:35 Nerv! Es geht los. Der Koffer sollte es also auch geschafft haben.
17:35 (West coast time) Nach ein paar verwirrenden Schleifen im Tiefflug über San Diego: „We have a flap malfunction and cannot land in San Diego, because than runway is too short. We are redirected to LA.“ Panisches Lachen im Flugzeug.
18:00 (around) Wir setzen sicher auf. Wenn ich das richtig verstanden habe, hatten wir vieeel Anlauf, weil wir im Sinkflug reinkommen mussten und hatten deswegen einen Bremsweg wie ein Kieslaster. Die bereitgestellten Foam Units hupen vor Freude Spalier. Puh, an den Trollen, die mich kochen wollen, bin ich schon mal vorbei.
19:00 Ein Ex Navy Flieger beglückwünscht mich, dass ich trotz flight fear cool geblieben bin, nimmt mich unter seine Fittiche und erzählt mir Horrorgeschichten. „At the navy, we fixed flaps with tape.“ Beruhigend. Durchsage: Es wird ein Anschlussflug kostenlos und unbürokratisch bereitgestellt. Der Flughafen ist leer – independence day.
19:30 Geplapper beim Warten an den Anschlussflug: Älteres Ehepaar: „We are from Florida and are on vacations. I guarantee we will get back by car!“ „That wan't the plane we were supposed to fly on. It was taken out of a barn before!“ Eine Österreicherin, die bei München lebt, erzählt mir, dass sie aus Mexiko-Stadt kommt, wo der „Taxi“-Fahrer nicht wusste, wo der Flughafen ist und von der Polizei mit den vorgehaltenen großen Wummen auf seine Seriosität gecheckt wurde. Nach San Diego ist sie bloß über Houston geflogen, weil sie dort mit ihrem Kollegen aus LA das Feuerwerk zum Independence day anschauen wolte. Jetzt steht sie in LA und er in San Diego im Flughafen. Dort steht übrigens wohl auf der Anzeigetafel, dass wir gelandet sind... (nur nicht, wo!) Die Sicherheitskontrolle fällt übrigens aus. Es wird nur per Ausdruck geschaut, dass wieder nur Leute einsteigen, die schon mal an Bord waren.
20:30 Ersatzmaschine hebt ab. „That's the same plane, isn't it? They just painted it!“ „We will see a firework today, whether in San Diego or even before...“ Die haben schon einen bösen Humor. Nach dem Start durch den Seerauch, der vom Pazifik hereinzieht, ein beeindruckend glutroter Sonnenuntergang vor LA.
21:00 Nach 20 Minuten auf 2000m entlang der Küstenlinie landen wir in San Diego. Es gibt drei Kofferrückgabebänder. Alle fünf angekommenen Flüge werden auf Band 1 ausgegeben... Ein sehr netter Taxi-Fahrer aus der ehemaligen Sowjetunion fährt mich zum Hotel. Wir haben während der Fahrt einen gigantischen Blick auf die fünf imposanten, gleichzeitig ablaufenden Feuerwerke. Alle Straßen sind überfüllt mit feiernden Menschen. Es gibt nette Häuser, Einbahnstraßen und Gehsteige. Sind nett aus!
21:30 Ich komme nicht in mein Hotelzimmer. Nach dem fünften Versuch klopft es von innen „You are at the wrong door!“ Oha! Ich habe |5|4 als 15/4 und nicht als 1514 gelesen. Jetzt scheitert es schon an den Zahldarstellungen...

23:00 Ich falle erschöpft ins Bett.

Sonntag, 30. Juni 2013

Laufen? Läuft!

Laufen macht langsam Spaß - und so möchte ich hier ein bisschen meine jüngste Lerngeschichte rekapitulieren, nachdem ich mich letzten Herbst eher kurzentschlossen zum Welterbelauf angemeldet habe; den Lauf habe ich dann zwar verpasst - die Hochzeit in Albanien kam dazwischen. Ich bin aber dennoch auf den Geschmack gekommen - bereits am 22.5. hatte ich mich dermaßen im Wald verfranzt, dass ich die anvisierten10km locker übertroffen hatte. Zwischenzeitlich habe ich mir eine Android-Phone-Armhalterung angeschafft und registriere mit Vergnügen meine Bewegungsspuren, die über Berg und Tal in Bischberg und Bamberg führen. Eine wirkliche Fitness-App will ich nicht haben, ich muss nicht jeden Kilometer eine nervige Computerstimme quaken hören, wie langsam ich wieder war. Dennoch habe ich auf diese Weise von einigen Rundläufen grobe Daten sammeln können, die eine Steigerung der Laufstrecke bei gleichzeitiger Verbesserung meines km-Schnitts nachweisen (sorry an meine Fans, echte Tracks im Netz wäre mir doch zu öffentlich):

Datum Route Länge Höhe Laufzeit Schnitt
18.11.2012 Weipelsdorf 3km 20m 17min 5:40min/km
10.03.2013 Trosdorfer Wald 5km 75m 35min 7:00min/km
21.04.2013 Hain 5,5km 30m 33min 6:00min/km
28.04.2013 Bischberg Sportplatz 6,5km 90m 40min 6:09min/km
05.05.2013 Welterbelauf 10km --m --min -:--min/km
22.05.2013 WeipelsdorferWald/Gaustadt 12,2km 180m 80min 6:33min/km
30.05.2013 Vogelsberg 7km 115m 48min 6:51min/km
05.06.2013 Vogelsberg light 6,2km 105m 43min 6:56min/km
09.06.2013 ERBA 8,5km 30m 53min 6:14min/km
15.06.2013 Rothof 7,5km 105m 43min 5:44min/km
23.06.2013 Rothof 7,5km 105m 44min 5:52min/km
26.06.2013 ERBA 9,5km 40m 54min 5:40min/km
30.06.2013 Uni-Lauf (ERBA) 10km 40m 55min 5:30 min/km

Der Uni-Lauf heute war für Matthias und mich dann eine schöne Gelegenheit, doch noch zu einem gemeinsamen 10km-Lauf zu kommen, nachdem ich den Welterbelauf ja sausen lassen musste. Die Vorzeichen standen zunächst auf Dauerregen, doch dann verabschiedete sich das Regengebiet schon gestern Abend, so dass wir heute morgen bei leichter Bewölkung und knapp über 15°C an den Start gingen - also bestes Laufwetter! Ich bin stolz, sagen zu können, das ich immerhin eine neue Bestleistung erzielen konnte, auch wenn Platz 378/601 bzw. 42/56 in der Altersklasse M30 sicher noch ausbaufähig sind. Ich werde bestimmt dabei bleiben!
Matthias, Uli und ich im Ziel

Freitag, 14. Juni 2013

Aufruf: Denken in Alternativen

Dies wird ein nachdenklicher Blog. Ein Rundumschlag des Nicht-Wissens. Eine leise Ahnung vom vielleicht nicht wissen können, wie Aristoteles es bereits formulierte. Vielleicht ein Blog über den Irrtum vom gelingenden Leben. Im Sinne der Nicht-Repräsentationalisten: Future is not a place - it's just a becoming.

Alles fängt damit an, wie Adam Smith bemerkte, dass Menschen Anteil am Schicksal anderer Menschen nehmen - und sei es nur aus dem Vergnügen heraus, Zeuge davon zu sein. Es gibt eine ganze Menge von Zeugen: Zeitzeugen, Augenzeugen, Kronzeugen. Immer geht es darum, dabei gewesen zu sein, Teil eines situativen Rahmens, vielleicht aber auch außerhalb eines solchen Rahmens, quasi im Türspalt zugesehen zu haben. Nicht immer muss es um Leid und Verbrechen, um Umstürze und Wutbürger, um Peinlichkeit und Intimität gehen. Gelingendes Zeuge-Sein fängt bei den Empfindungen des Einzelnen an, beim Regen, der auf die Haut fällt, beim Licht der Abendsonne, beim Duft der Blumen, bei Summen der Insekten, beim Lachen und Singen. Erinnerungen sind immer dann stark, wenn sie synästhetisch gekoppelt sind und seien Teile dieser Erinnerung reine Imagination. Sie prägen, was wir hoffen und sehnen, auch wenn wir es faktisch nie erlebt haben oder nie erleben werden. Es ist die Vorstellung von Situationen, in denen Verschiedenes zusammenkommt: Stimmungen, Emotionen, Orte und Menschen, im rechten Moment in der rechten Konfiguration, der rechte Satz im rechten Ohr - dann gelingt Dasein.

Wir können es dem Zufall überlassen. Fatum. Dann ist es nur Glück, ob wir glücklich sind. Dann lassen wir uns treiben, in der Hoffnung, im Besonderen angetrieben zu werden, jederzeit bereit, alles liegen und stehen zu lassen, wenn es soweit ist. Dann reicht es uns, Lose bei Lotto zu kaufen, Fußball und Formel 1 zu schauen und den Nachbarn ihr vermeintliches Glück zu neiden. Gegebenenfalls gute Ratschläge zu geben wie der Mann mit den Glasknochen in Amelie oder Obi Wan als Geist, nicht einzugreifen, hypothetisch zu handeln und nur Vergnügen zu empfinden, Zeuge der Resultate Handlungen anderer zu sein. Es kann durchaus befriedigend sein, der allweise Schiedsrichter zu sein. Bis sich die Frage stellt: Hätte ich mitspielen sollen? Wäre es mir gelungen? Dann reicht es nicht, zu schauen. Am Ende steht das Handeln.

Die Freiheit des Handelns ist unmittelbar an Verantwortung gebunden. Seit Nachtzug nach Lissabon weiß ich auch wieder, dass ich das ursprünglich bei Tugendhat gelesen habe. Die Möglichkeit zum Handeln ist Freiheit und sie ist es nicht nur, weil wir immer auch die Option hätten, es nicht zu tun, was wir gerade wollen. Natürlich gibt es alternativloses Handeln. Ohne (maßvolles) Essen und Trinken funktioniert Leben nun mal nicht. Vielleicht ist es auch nur unsere gefühlte Freiheit, die viel größer ist als die tatsächliche. In jedem Fall ist soziales Handeln keine Funktion unseres kognitiven Zustands in seiner sensorischen Situiertheit. Wir können abwägen, überlegen und uns schließlich entscheiden. Alternativlos ist Handeln aber auch immer dann, wenn es automatisiert, routiniert ist. Wenn wir nicht mehr wachsam dafür sind, wie Welt eigentlich auch noch gedacht werden könnte. Verantwortungsvolle Freiheit bedeutet nämlich Denken in Alternativen.

Die vielleicht wichtigste Form der Alternative ist der Kontrast. Eine Negation ist leicht auf alles anzuwenden. Deswegen ist die Vierfeldertafel auch nicht nur in der Philosophie als Analyse-, sondern auch in der Betriebsführung als Entscheidungshilfe sehr beliebt. Beide Merkmale nein? Gut. Beide ja? Schlecht. Eines nein? Unklar. Wirkliche Alternativen bieten sich solche einfachen, handlungsleitenden Regeln nicht. Alternativen stellen das Unhinterfragte in Frage, schieben die alltägliche Praxis im Diskurs der anderen beiseite und legen den Finger in die Wunde. Auch wissenschaftliche Hypothesen werden erst dann spannend, wenn sie eine Alternative zum bereits Bekannten aufstellen. Warum wird eigentlich immer der Sonnenuntergang als romantisch empfunden? Semiotikern fiele schon so einiges ein, vom Symbol der Transzendenz, vom Symbol des "not over yet", vom Spiel von Licht und Schatten. Und sicher ist so mancher Sonnenuntergang magisch schön. Doch verpassen wir nicht etwas, wenn wir nur auf ihn fokussieren? Die Frage allein zeigt nur den Zweifel, nicht aber eine Hypothese auf. Noch fehlt der Kontrast, das out-standing im Wortsinn, das eine kreative Alternative ermöglicht. Erst ein Spielen mit den Konstituenten einer Frage macht die Sache interessant. Wäre vielleicht ein verregneter Abend romantisch? Kaum. Aber wieso eigentlich nicht einmal auch einen Sonnenaufgang romantisch finden. Also ganz früh aufstehen und den ersten Strahl der Sonne gemeinsam genießen. Das tun wenige.

Bedenkt man es genau, sind viele Handlungen auf eine solche Weise vorgeprägt und belegt. Ich möchte es vorerst binding nennen, wenn eine Handlungsweise durch ihre Bezogenheit auf eine bestimmte Situation dem Gegenüber, auf das die Handlung bezogen ist, in ihrer Vorstrukturiertheit und Überbestimmtheit Gewissheit über die Absicht des Handelnden gibt und eine Reaktion ermöglicht. "Wollen wir uns heute Abend den Sonnenuntergang ansehen?" Pragmatikfrei sprechen wohl nur Informatiker. Es hängt natürlich von Intonation, von der Situation ab, in der gesprochen wird. Ist es mit einem scheuen Seitenblick gesprochen? Sind dabei Blumen in der Hand? Nicht immer stehen Zusatzinformationen zur Verfügung. Bereits Kommunikation am Telefon zum Beispiel schneidet Kontext ab, macht Verständigung unbestimmt. Sagt dies ein junger Mensch zu einem anderen, besteht jedoch zu der Vermutung Anlass, dass mehr gemeint ist. Es gibt unzählige weitere Beispiele für binding: In den meisten zeitgeographischen Korridoren des Alltags lernt man keine neuen Menschen kennen; man hastet achtlos aneinander vorüber. Wen man kennt, kennt man zunächst in einer bestimmten Rolle, als Kollege, als Chef, als Mitschüler, als Nachbar. Es ist zumeist kein großer, aber ein im Bezug auf die Anzahl unserer Bekanntschaften seltener Schritt, allein schon diese Rolle aufzubrechen und ein wirkliches Kennenlernen anzuregen. Es sind klar bestimmte Situationen, die zumeist dafür legitim erachtet werden. Ein Café zu besuchen. Neutraler Boden mit Notausgang. Schon eine Einladung nach Hause oder zu einem Mittagessen sind oft viel zu viel. Das kommt erst im nächsten Schritt.

Nichts ist offensichtlich schwieriger, als eine Freundschaft zu beginnen. Kann man eine Freundschaft explizit beginnen? Kann man metapragmatisch ausdrücken: "Heute beginnen wir unsere Freundschaft!"? Sie entwickelt sich, wenngleich häufig unausgesprochen, durch gemeinsame Aktivitäten, durch bewusste wechselseitige Bezogenheit des Handelns. Sie vertieft sich durch Verständnis. Sie lebt von Toleranz. Sie ist zerbrechlich. Freundschaft ist irreversibel. Sie glückt oder sie scheitert. Sie ähnelt der Liebe. Im Vertraut-Sein, im Vertrauen, im Vermissen. Nichts verletzt so sehr wie enttäuschte Freundschaft. Jeder zusätzliche Aspekt, der zwei Menschen in Freundschaft verbindet, kann bei seinem Scheitern alle anderen Aspekte mit der Unweigerlichkeit eines Damoklesschwerts in den Abgrund reißen. Wenn aber ein Freund sagt: "Einen jeden von Euch habe ich in diesen Tagen, die wir zusammen waren, aufrichtig lieben gelernt!", wenn eine Schwägerin sagt: "Ich liebe und schätze Dich sehr!", dann ist es nicht die überstrapazierte Geschlechtlichkeit, es ist das offene Herz eines Menschen, das spricht, dann Verwischen die Grenzen zwischen Familie, Freundschaft und Liebe, dann entstehen für einen Moment echte Alternativen.

Nichts ist leichter und schwieriger als zu lieben. Und ist es nicht fast lachhaft paradox, dass aus Angst vor Bindung häufig ein binding bevorzugt wird, also wie dargestellt eine vereinfachende Strukturierung der Welt, in der alle Handlungen eine klare Semantik tragen, durchsichtig sind und somit letztlich leicht ablehnbar? Dass also zusätzlich zur Schwierigkeit des Liebens die Barriere eines Sprechens über die komplizierten Spielarten von Liebe aufgebaut wird? Alleine „Ich mag dich!“ ist oft übersexualisiert, verwirrt und weckt Befürchtungen. Bei Freundschaft im Überschwang von Liebe zu sprechen, wäre heute vielerorts sozialer Selbstmord. Abseits vom alkohollegitimierenden Dunstkreis der Parties (meist phantasielos: Grillen im Sommer, Glühwein im Winter), der im Alltagsdiskurs zu weit gehende Äußerungen durch den Konsum von Bier entschuldbar macht ("Ich liebe Dich!" - "Ja, passt scho!"), ist es ein scheues umeinander Schleichen, bestenfalls der Versuch, den Kontext des gegenseitigen Kennens behutsam zu erweitern, Vertrauen zu erwerben und mit der richtigen Mischung aus Berechenbarkeit und Inspiration weiter aufzubauen. Liebe in ihrer Form als bedingungslose und aufrichtige Freundschaft, steht damit ganz oben auf der Verlustliste zeitgeschichtlicher Alltagsdiskurse. Bestenfalls alte Menschen und Kinder dürfen lieben. Alle andere stehen rasch im Verdacht ihrer Geschlechtlichkeit. Was für ein Unsinn: "Ich bin Bi, damit ich mehr Auswahl habe". Ich habe, glaube ich, in vorigen Blogeinträgen klar gemacht, dass ich kein Geschlechts-Nazi bin. Was mich stört, ist das "damit"! Wo ist die Menschlichkeit geblieben? Wo ist die Freude daran geblieben, Zeitzeuge eines wundervollen Menschen sein zu dürfen ohne ihn auf die Möglichkeit eines gemeinsamen Geschlechtsaktes zu reduzieren?

Es scheint Sitte zu werden, dass meine gesellschaftskritischen Blogs mit einem Aufruf zur Toleranz, nach vorbehaltloser Zuwendung und dem Willen, Unverständnis abzutragen, enden. Heute möchte ich den Aufruf nach Alternativen hinzufügen. Brecht die Strukturen auf, denkt Welt anders. Verstoßt gegen die Engstirnigkeit des Diskurses, zeigt, dass die Welt menschlichen Handelns bunt und nicht regelbasiert beschreibbar ist. Seid verantwortungs- und respektvoll und habt den Mut zu irritieren. Den nur Irritation, das out-standing als Kontrast zum grauen Einheitshintergrund erwartbaren Verhaltens, kann anderen die Inspiration und den Lebensmut schenken, die für ein gelingendes Leben essentiell sind.

Donnerstag, 30. Mai 2013

Die hängenden Gärten sind zurück!

Nachdem wir schon vor zwei Wochen den Balkon fit für seinen zweiten Sommer gemacht haben, hatten unsere Pflanzen das Gießen nach dem Anpflanzen nicht wirklich nötig - sie sind seitdem eher ertrunken als verdurstet. Nachdem heute morgen ein paar verlorene Sonnenstrahlen Außenaufnahmen zuließen, an dieser Stelle ein paar verspätete Impressionen vom Frühlingsanfang ;)

Die Rolle der Schlingpflanze haben wir dieses Jahr mit Erdbeeren besetzt, die das ganze Jahr Früchte entwickeln - wir sind schon sehr gespannt!


Wieder dabei sind Tomaten und Paprika. Nachdem die extra scharfen Pepperoni selbst in gemahlener Form nur zu Bruchteilen verzehrt sind, haben wir auf weitere Schärfelieferanten dieses Jahr verzichtet.


Neben den Olivenbaum, der sein winterliches Exil im Treppenhaus gut überstanden hat (und kleine Oliven trägt!), ist ein Pflanztrog mit Rose und Lavendel getreten. Mal sehen, ob an dieser geschützten Stelle Blattläuse und Mehltau etwas weniger Ärger machen als zuletzt.


Eine Mittagsblume musste natürlich auch wieder sein. Die Zuckerhutfichte strahlt in sattem Grün, auch wenn die zweijährigen Nadeln jetzt schon braun werden. Evtl. fehlt hier etwas Pflege. Der Korb links ist tatsächlich eine Herbstkomposition, die wir dort über den Winter "vergessen" haben und die wider Erwarten sehr üppig zurückgekommen ist. Nur die Blume hat eine vertrocknete Erika ersetzt.


Scheinzypresse und Buchs mussten etwas zurückgeschnitten werden (ich wusste nicht, dass Zypressen erfrieren können)


Husarenknöpfchen und Männertreu haben letztes Jahr gut im Sturm durchgehalten, daher hängen sie wieder an vorderster Front.


Die Fuchsien auf der windabgewandten Seite haben ihren neuen Standort auch gut angenommen:



Donnerstag, 9. Mai 2013

Hochzeit in Albanien!

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. So simpel ist das. Wer sich nicht ins Flugzeug setzt, kann aber auch keine neuen Orte entdecken. Dann und wann muss ich eben über meinen Schatten springen und wenn es mir gelingt, besteht eine gute Chance, eine völlig neue Welt kennengelernt zu haben.

Und so bin ich meinem Freund Matthias sehr dankbar für den Tritt hinaus zur Tür (ok, die geduldige, mehrmalige, herzliche Einladung), der mich als Gast auf seine Hochzeit in Albanien geführt hat, ein Land, dass mich verblüfft hat und das ich sehr schätzen gelernt habe. In einer Liste der schönen Orte liegen Tirana und Shkodra jetzt ziemlich weit vorne bei mir ;)
Um es deutlich zu sagen: Los Angeles z.B. mochte ich WIRKLICH nicht - und ich war auch schon da! Ich will auch bestimmt kein generelles USA-Bashing betreiben - immerhin kenne ich sehr nette Menschen von dort und habe im Juli die Gelegenheit, in San Diego wieder einen anderen Ort kennenzulernen. So frei wie in Albanien habe ich mich aber nirgens in den USA auch nur annähernd gefühlt. In einem Land, das nur Privatbesitz kennt und diesen mit Waffen schützt, macht Raumaneignung keinen Spaß.

Ich will den eigentlichen Reisebericht kurz halten und eher die Bilder sprechen lassen, von denen wir in vier Tagen sagenhafte 518 geschossen haben - eine kleine Auswahl will ich nun im Folgenden kurz vorstellen.

Leider keine Bilder gibt es vom ruhigen Hinflug über die Schluchten des Balkan mit schneebedeckten Bergen, die im Sinkflug auf Tirana bald mediterranem Grün, Flüssen, Stauseen und sanft geschwungenen Stränden wichen. Der Flughafen Tirana gleicht eher einem Bahnhof mit zwei Gleisen. Es gibt gefühlt einen Standplatz für angekommene und einen Standplatz für abfliegende Flugzeuge.

Mit dem Shuttle-Bus ging es in die Stadt, vorbei an wild gewachsener Bebauung, die sich ineinander schachtelt. Keine Stadtplanung hemmt die seit dem Bürgerkrieg vor 15 Jahren laufende Hyperurbanisierung. Wo ein Grundstück frei ist, wird es bebaut. Erst seit Kurzem wird auf öffentlichen Grünflächen radikal gegen Kioske vorgegangen. Die Folge sind enge Gässchen, geringe Abstände zum Nebenhaus und abenteuerliche Konstruktionen, wenn ohne größere statische Berechnungen das Haus um ein Stockwerk erhöht wird. So muss es im 19. Jahrhundert unter dem Ansturm der Industriearbeiter auch in der mitteleuropäischen Stadt ausgesehen haben. Mitunter kommen jedoch auch solche Schmuckstücke heraus wie unser Hotel in der Studentenstadt (Qyteti Studenti), das für den Druck in der Wasserleitung auch nur ein Stockwerk zu hoch ist, so dass es nur etwas Geduld braucht, bis wieder Wasser kommt:


Gleich am ersten Abend noch haben wir unter Matthias' Führung einen benachbarten Hügel erklommen, wo alternder sozialistischer Beton um die Statue der "Mutter Albanien" der liebevollen Pflege des umgebenden Parks keinen Abbruch tut. Überhaupt ist den Einwohnern trotz der Dichte Grün in der Stadt sehr wichtig. Wo immer möglich sorgen Grünpflanzen, die täglich gewässert werden, für Frische und Verweilqualität. Hier der Blick auf die Stadt:


Nach einem Abstecher in einen albanischen "Biergarten" mit Streichelzoo (neben Pfauen und Ziegen auch drei ausgewachsene Bären - Poldi lässt grüßen) fand die kleine Reisegruppe am Abend im Garten des Lion Parks zum ersten albanischen Abendessen zusammen - wirklich schmackhafte Pizza!

 

Am Vormittag des zweiten Tags ging es auf Stadtexkursion. Neben verschiedenen Gebäuden von öffentlichen Einrichtungen (Stadion, Uni, Ministerien, ...) sahen wir auch immer wieder den morbiden Charme der Überbleibsel der sozialistischen Diktatur wie diese Pyramide (wer genau hinschaut, sieht sie mich gerade erklimmen):


Aus Angst vor Aggression aus dem Ausland wurde Albanien im Sozialismus mit einem engmaschigen Netz von Bunkern überzogen - beinahe die ganze Bevölkerung hätte sich in einer Krise in diese zurückziehen können und die Waffe auf einrückende Armeen richten können. Einer dieser Bunker ist in Tirana als Monument aufbereitet:


Im "Block", dem Bereich Tiranas, der nur dem engsten Umfeld des Diktators zugänglich war, liegt die Villa von Enver Hoxha, der das Land bis 1985 kontrollierte:


Der Anteil an Lohnarbeit ist in Tirana außerhalb des öffentlichen Dienstes sicher gering. Die Arbeitslosigkeit ist aber nicht deren Gegenteil: irgendwo findet jeder zumindest ein bescheidenes Auskommen durch informellen Handel, informelle Produktion oder eine informelle Dienstleistung. Die Folge ist hier und da ein bisschen Wohlstand und solche basarartigen Gassen, in denen "Original" Bayern-Fanartikel verkauft werden.


Am Nachmittag fuhren wir mit der Seilbahn, die dank österreichsicher Expertise dort nach dem neuesten Stand der Technik aus dem Boden gestampft wurde, auf den Dajti, den Hausberg Tiranas:


Von dort hatten wir einen imposanten Weitblick:


Den Abend ließen wir in der Qyteti Studenti bei Lemon Soda und Raki ausklingen:


Am nächsten Tag stand eine Busexkursion auf dem Programm. Mit einem in Deutschland sicher schon vor 20 Jahren ausgemusterten Mercedes T1 fuhren wir zu dreizehnt(!) über die mittlerweile gut ausgebauten albanischen Straßen. Zwar brauchte der Oldie am Berg an einer Stelle eine kurze Verschnaufpause und etwas Kühlwasser (und der Fahrer kam nicht wirklich mit dem Fernlicht zurecht), brachte uns aber gut ans Ziel. Sicherheitsgurte waren freilich nicht zu erwarten - trotz offizieller Gurtpflicht wird belächelt, wer danach sucht. Anekdote: In einer Polizeikontrolle führte uns der Fahrer als Wahlbeobachter ein, was uns eine rasche Weiterfahrt garantierte:


In Kruja konnten wir einen Blick auf die typischen Begleiterscheinungen von geballtem Tourismus in einem Transformationsland erleben: Von allen Seiten werden beim Weg auf die Burg Andenken in Form von Schnaps, Textilien, Flöten und vielem mehr angereicht:


Top- und eigentlich einzige Sehenswürdigkeit, die dem Treiben zugrund liegt, ist die Skanderbeg-Burg, also die Burg des gleichnamigen albanischen Raubritters, der im 15. Jahrhundert die Osmanen zwei Jahrzehnte zum Narren und im Schach hielt. Die Stätte ist also eine Art Nationalheiligtum und überfüllt mit Schulklassen:


Hier unser ortskundiger Führer beim Erläutern der geographischen Sachverhalte:


In Shkodra, gleich an der Grenze zu Montenegro, wurden wir von einem Regenschauer überrascht, der aber die satt grüne Landschaft rund um die gigantische Ruine des bereits in der Antike besiedelten Festungshügels Rozafa nur umso imposanter erscheinen ließ:





In Shkodra selbst, einer christlichen Hochburg (in der der Islam, wie überall in Albanien in seiner gemäßigtem Form, aber allgegenwärtig ist), verbrachten wir den Abend in einer der ersten Fußgängerzonen Albaniens.



Am vierten Tag stand das Haupt-Event an: eine albanisch-deutsche Hochzeit! In der Kirche Don Bosco wurde die Ehe geschlossen.


Hier das Brautauto (unseres Wirts!) - das wir in den frühen Morgenstunden zusammen mit Matthias' Eltern liebevoll mit Blumen geschmückt hatten:


Das glückliche Brautpaar, auf dem Bild darunter mit Eltern:



Zurück im Hotel wurde bei albanischen Tänzen wild gefeiert - allerdings nur wenige Stunden. Nach dem Überreichen der Geschenke zieht sich die albanischen Familie traditionell zurück.


Das Anschneiden der Torte. Ja, ja, wer hat die Hand oben? ;)


Am nächsten Tag stand auch schon der Rückflug auf dem Programm - man soll ja leider aufhören, wenn's am schönsten ist. Der Schönheit gewaltiger Quellwolken, die ich zum ersten Mal in meinem Leben von oben gesehen habe, stand der Anblick von München bei Nacht im Landeanflug in nichts nach.

Kurz: Albanien, wir kommen wieder und alles Gute für das junge Ehepaar!!


Samstag, 27. April 2013

Kreatives Gästebuch

Nachdem sich die Notiztafel in unserem Eingang zu einer Art Gästebuch für zufriedene Besucher entwickelt hat möchte ich hier ein paar der gelungenen Kleinkunstwerke präsentieren, bevor sie Wasser und Küchentuch anheimfallen und wir den Platz wieder für langweilige Aufgabenplanung und Besorgungsmarker verwenden ;)





Samstag, 6. April 2013

Kino um Ostern

Nachdem ich mich ja zuletzt schon als Kritiker für Bilder und Musik versucht habe (was ziemlich Spaß gemacht hat, mir aber auch zurecht Schelte von Kennern eingebracht hat) will ich mich heute ans Kino wagen, nachdem wir zuletzt zwei Filme gesehen haben, die mich schwer beeindruckt haben.

1) Die Puppe, ein deutscher Stummfilm von Ernst Lubitsch aus dem Jahr 1919. Ein Film, als das Kino gerade erst Laufen lernte, in der besuchten Aufführung untermalt vom Percussion-Ensemble unserer alten Schule, des KHG.
Der Neffe eines reichen Adeligen soll heiraten und flieht vor dem Ansturm der Bewerberinnen ins Kloster. Dort wird das bigotte Klosterleben in seiner Genusssucht karrikiert, bevor seine Mitbrüder im Wissen um die reichhaltige Mitgift ihn überreden, zum Schein eine Puppe zu ehelichen. Ein Puppenmacher, der geeignete Exemplare fertigt, die neben einem Lauf- und Gruß- auch über ein Tanzprogramm verfügen, ist rasch gefunden. Dessen Antagonist ist wiederum sein Lehrling, der flegelhaft und scharfzüngig die Familie seines Herrn in den Wahnsinn treibt. In Abwesenheit seines Lehrmeisters ruiniert er die Puppe, die dieser nach dem Abbild seiner Tochter gefertigt hat, nachhaltig. Dumm, dass genau diese Puppe der reiche Neffe zuvor ausgewählt hat. So entschließt sich die Tochter, anstelle der Puppe zu treten, bis der Lehrling das tatsächliche Exemplar repariert hat.

Das großartige an dem Film ist aus meiner Sicht, dass es zu dieser Zeit noch keine festen Genres gab, keine klare Trennung zwischen Zielgruppen und keine erprobten Kameraeinstellungen gibt. Alles bewegt sich zwischen Shakespears Wanderbühne, Theater und Tanz-Choreographie. Genial ist, wie die Kulissen von Anfang an als Konstruktion transparent gemacht werden - bis hin zu den Pferden, die definitiv von menschlichen Statisten gespielt werden und dies zum Ende hin dadurch kund tun, dass sie sprechen können. Großartig ist auch, wie sich der Fokus der Handlung mehrmals verschiebt - es gibt kein klares und langweiliges Setting, in dem nur Orte und Personen vorgestellt werden, die auch für die Handlung relevant sind. Einzig das Schloss des Onkels und das Kloster treten mehrfach auf. Nach einem bunten Tanzreigen offenbart sich erst zur Mitte des Films der - ebenso wie die Tochter wirklich brillant gespielte - Lehrling als wahrer Puk, der von da ab beinahe einen eigenen Handlungsstrang neben dem heiratsunwilligen Neffen erhält. In seiner Ursprünglichkeit beeindruckt, dass das Stück davon abgesehen völlig zeitlos ist.

2) Nachtzug nach Lissabon, ein aktueller Film nach einem Roman von Pascal Mercier.
Ein Lateinlehrer, der als Prototyp eines verkrachten und vereinsamten Intellektuellen eingeführt wird, zugleich ein wahrer Philanthrop, rettet früh morgens eine junge Frau, die von einer Brücke in den Tod springen will. Unschlüssig nimmt er sie zunächst mit in die Schule, wo sie aber bald aufspringt und aus dem Zimmer läuft. Zurück bleibt ihr Mantel, in dem sich neben einem Ticket nach Lissabon mit dem Nachtzug ein Bändchen mit Lebensweisheiten eines gewissen Amadeu de Prado findet. Inspiriert vom Büchlein und kurzenstschlossen macht sich der Lehrer auf den Weg, lässt sein bisheriges Leben hinter sich und fährt mit dem Ticket nach Lissabon. Dort erfährt er zwar, dass Amadeu de Prado zwar zwischenzeitlich verstorben ist, macht sich aber dessen ungeachtet sofort daran, dessen Leben und Wirken zur Zeit der portugiesischen Diktatur in den 1970er Jahren zu ergründen und Zeitzeugen zu befragen.

Gleich zu Beginn des Films sind es die Lebensweisheiten und klaren, schönen Worte, die begeistern. Natürlich ist die Reise nach Lissabon auch in diesem Fall nur Metapher für den Weg zu sich selbst und das Ringen um die richtige Entscheidung. Ich zitiere mal aus dem Kopf (die DVD kommt leider erst im September): "Was ist mit all den Leben, die wir fühlen, aber nicht leben können?", "Es kommen jedes Jahr neue Schüler, deswegen versuche ich, sie nicht zu sehr zu lieben!" und "Das Wesentliche im Leben sind Sehnsucht, Genuss und Sicherheit." Zugleich habe ich mich an Horns Ende erinnert gefühlt - die eigentliche Hauptperson ist tot, ihr Wirken und ihre Bedeutung jedoch noch nicht hinreichend gewürdigt und so beginnt eine detektivische Suche nach dem, was damals geschah, als Amadeu de Prado unter der humanistisch inspirierten Prämisse "Kein Mensch soll leiden!" eines Albert Schweitzer als Arzt im faschistischen Portugal wirkt und darüber zum Widerstand kommt.

Auf beinahe unheimlich merkwürdige Weise hat mich dieser Film in seinem Bann gezogen, indem er für mich philosophische Forschung mit Entscheidungstheorie unter beschränkter Zeit (Heideggers Sein zum Ende?) verknüpft, wie sie mein Chef erforscht. Wie sollen wir handeln? Wie sehr mich dieser Film als Mensch und Forscher betrifft, habe ich eben erst begriffen, als ich zum Autor des zugrunde liegenden Romans recherchiert habe. Peter Bierri, der unter dem Pseudonym Pascal Mercier literarisch publiziert, ist Schüler von Ernst Tugendhat, zu dem ich im Studium von meinen akademischen Lehrern einiges vermittelt bekommen habe, und hat dort zur Zeiterfahrung promoviert. Ein verblüffender Verweis auf meine eigene informatische Forschung zur touristischen Entscheidungsfindung unter beschränkten Zeitressourcen, findet sich insofern, als sich Bieri mit seiner Analytischen Philosophie des Geistes intensiv mit den Kognitionswissenschaften auseinandergesetzt hat und dennoch als Tugendhat-Schüler natürlich dessen Freiheitsbegriff weiterentwickelt hat. Deteminismus und Freiheit sind bei ihm kein Widerspruch. Ich staune noch immer und muss glaube ich in den nächsten Wochen einiges lesen, das ich in meinen eigenen Notizen nur als unvollendet finde...

Zurück zum Thema: zwei ganz klare Empfehlungen, sich diese Filme nicht entgehen zu lassen, wann immer Gelegenheit dazu besteht!