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Freitag, 4. Mai 2012
Reisen im April
- Südtirol. Schlüsselerlebnis war sicherlich nach einer kurvenreichen Anfahrt ins Martelltal der vereiste See auf 2000m Höhe und am nächsten Tag Schloss Trauttmansdorff in Meran mit einem wahren Blütenmeer. Der Sissi-Weg durch Meran ist sicherlich ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man Wandern in der Stadt gestalten kann.
- Berlin. Eigentlich nur als Umzugshelfer und doch ein Erlebnis. Schlüsselerlebnis sicher der Blick mit dem Umzugslaster vom Potsdamer Platz die sechsspurige Magistrale zum Alexanderplatz entlang. Und die Tatsache, dass ein Bauarbeiter und ein Luft- und Raumfahrtingenieur einen vergeistigten Informatiker brauchen, um ein IKEA-Lattenrost korrekt zusammenzusetzen...
- Rain am Lech. Eigentlich nur um in Jochens Geburtstag zu feiern. Daneben aber auch die Besichtigung eines Baubeginns stolzer Bauherren. Schlüsselerlebnis sicherlich das Aufbauen einer Hollywoodschaukel in der letzten Stunde vor Mitternacht.
- Pegnitz. Eigenlich ein Junggesellenabschied im Kanu mit Bier im Schlepptau. Und doch die augenzwinkernde Erkenntnis, dass Akedemiker eines gewissen Alters nur noch so tun können, als wären sie gewöhnliche junge Männer. Schlüsselerlebnis sicher das gemeinsame Fußballspiel bei der Mittagsrast und der Sonnenuntergang auf der Heimfahrt hinter den Bergen der Fränkischen Schweiz.
- Erlangen. Zwei Stunden Autofahrt für eine Stunde Vortrag. Schlüsselerlebnis sicher die Erkenntnis, dass das Bedrückende an Arbeitslosigkeit das Zusammenbrechen der alltäglichen raumzeitlichen Routinen ist und dass auch andere Sozialgeographen langsam auf die Idee kommen, die Kombination aus Bewegungsspuren und Leitfadeninterviews für ein tieferes Verständnis von Alltag heranzuziehen.
- Bamberg. Eigentlich keine Reise und doch Besucher auf der eigenen Landesgartenschau. Eigentlich ein Erlebnispark und keine Gartenschau und doch sicher einen weiteren Besuch wert. Schlüsselerlebnis sicher das Planschen am Fischpass.
- Bamberg. Diesmal Zielort der Reise für Gäste aus Albanien: Hochzeit im Hause Bickert! Schlüsselerlebnisse sicher das (teilweise misslungene) Brauen von Curacao-Wackelpudding als Versteck für das Geldgeschenk und das Fußballspiel Uni Bamberg vs. Uni Tirana als Abschluss eines gleichzeitig feierlichen und doch herrlich entspannten Tages.
- Bischberg. Sicher keine Reise und doch immer mehr Ort der Begegnung. Schlüsselerlebnisse sicher das gemeinsame Pflanzen von Blumen und Nutzpflanzen auf dem Balkon mit der Familie und das Betrachten schöner Indienbilder von Vroni und Moritz beim letzten Tageslicht.
Dienstag, 10. April 2012
Anstelle eines Nachrufs: Fotos von Oma
2004 am Kaulberg:
2005 am 90. Geburtstag:




Anstelle einer Predigt: Glaube eines Wissenschaftlers
Betrachten wir Leben synchron, als ein Sein-Zum-Ende im Sinne Heideggers, bei dem Leben eine stete Folge eines Setzen von "noch nicht vorbei"-Zeitpunkten ist, zeichnet sich dieses Ins-Nicht-Sein Gehalten-Sein doch vor allem durch zwei Dinge aus, die sich mir aufdrängen. Das eine Extrem ist wohl das, was Giddens "structure provides binding" nennt; die Tatsache, dass nur Routinen im Alltag uns die Sicherheit und das Vertrauen zu geben vermögen, uns überhaupt ans Leben zu wagen: angefangen von so simplen biologischen Rhythmen wie Herzschlag und Atmung (nicht umsonst gibt es ganze Wellness-Programme dazu) über aktionsräumliche Routinen besonderer Orte (wo wohne ich? wo arbeite ich? wo kann ich entspannen?) bis hin zum Immer-Wieder-Anknüpfen an die Kommunikation mit unseren sozialen Bezugspersonen in Familie, Freunden und Bekannten.
Das zweite Extrem ist sicher die Irritation. Damit meine ich zunächst neutral einen Einfluss von außen, der in der Lage ist, unsere alltäglichen Rhythmen, quasi den Herzschlag unseres Daseins, zu beeinflussen und zu verändern. Irritationen sind dabei ambivalent. Es gibt positive Irritationen auf allen Ebenen: Sport belebt den Kreislauf, ein neues Theater oder ein neues Restaurant auszuprobieren schafft ein neues Ambiente, ein Urlaub neue Eindrücke und neue Bekanntschaften bereichern die soziale Lebenswelt. Natürlich geht das auch umgekehrt. Der Alltagsstress im Job schafft Bluthochdruck, das Benehmen in einem fremden Land kann unbewusst verstören und die Erwartungshaltung unseres Umfelds uns einengen.
Beide Daseinskonzepte können Angst machen - die Angst vor Stillstand treibt uns an, die Angst vor Veränderung hält uns zurück.
Diachron betrachtet, was ein lineares Zeitkonzept impliziert, unterliegen wir in unterschiedlichen Lebensphasen völlig unterschiedlichen Anforderungen. Als Kinder müssen wir zunächst in der Welt ankommen, was Kindern im wahrsten Sinn des Wortes so spielerisch gelingt, dass man bereits als junger Erwachsener nur staunen kann, wie leicht dies fällt. Das überbordende Leben eines Kindes kennt keinen Zweifel und kein Ziel außer dem ungebremsten Wachstum. Als Jungendlicher wird das Dasein völlig neu ausgerichtet. Die hohe Plastizität der kindlichen Anpassung weicht Denkmustern, die sich Stück für Stück aus dem sozialen Kontext schälen, in den ein junger Mensch eingebettet ist. Physiologisch werden nun alle ungenutzten neuronalen Verbindungen gelöscht, um dem Erwachsenen ein entschiedenes Handeln zu ermöglichen. Es ist die Zeit großer Verwirrungen und (scheinbarer?) Epiphanien, in denen uns Wissen über das tatsächliche Wesen der Natur zuzufallen scheint, dabei fällt uns nur die Struktur zu, die wir fortan auf die Welt legen. Einmal abgeschlossen wird der Mensch zum Kulturträger, der für einige Jahrzehnte genau angepasst an seine Lebenswelt denken und entscheiden kann und dieses Wissen an Nachwuchs weitergeben kann - an den eigenen oder denjenigen, für den man als Lehrender oder Vorbild Verantwortung übernommen hat.
Dass der Tod in so einer Welt sinnvoll ist, liegt auf der Hand. Ausgenommen der Jugend, die in ihrer Verwirrung noch neues Leben (er-)proben muss, würde es diesen nicht geben, hätte es sich nicht als sinnvoll für die Menschheit an sich erwiesen, das Wissen und Können rasch an eine neue Generation weiterzugeben, die es für einige Jahrzehnte lernen, hüten, weiterentwickeln und schließlich abgeben müssen. Es liegt auch auf der Hand, dass es sich nicht schön anfühlt, durch die Geburt ins Dasein gerissen zu sein, mit unheimlicher Macht ins Leben zu drängen, heimisch zu werden und die oben beschriebenen Routinen aufzubauen (die basalste ist sicherlich die der eigenen Identität, das Gefühl das Beharren eines "Ichs") und schließlich nur weitergeben und zum Abschied kurz winken zu können.
Selbst, wenn wir das akzeptieren können, stellt sich die Frage danach, warum wir Kulturträger sein sollen, warum wir eine Erde weiter pflegen, bewahren und weiterentwickeln, die vielleicht schon in 50 Jahren von einem Kometen zerstört wird. Wir können es nicht wissen und selbst der rationalste Mensch MUSS etwas glauben - und ich meine damit keinen auferlegten Zwang, sondern eine ureigenste Routine, die wir tief in uns finden können. Wir glauben einfach, dass es sich lohnt, am Abend vor dem Weltuntergang (und wenn es nur unser eigener ist) noch einen Apfelbaum zu pflanzen!
Wenn wir schon als Wissenschaftler unsere Daseinsbedingungen dekonstruieren, können wir dort viel Tröstliches finden: (1) dass Zeit vielleicht nicht wirklich linear ist. Tatsächlich haben wir ja Sein in jedem Augenblick und genau "jetzt" werfen wir ja immer auch ein Netzwerk an Gefühlen, Gedanken und Worten auf die Welt aus, die wir uns vertraut gemacht haben. Mit Augustinus: Wir sind, wir wissen, dass wir sind und wir lieben unser Wissen und unser Sein. Das kann uns niemand nehmen und nur unter Änderung dieser kleinen Prämisse, dass Zeit eigentlich völlig bedeutungslos ist, ändert sich alles. (2) dass die Routine des "Ich" vielleicht auch nur eine Illusion ist. Wir werden es verstehen, wenn es so weit ist. Alle Menschen, die von Nahtoderfahrungen berichten, haben keine Angst mehr vor dem Tod. Er ist für sie so natürlich geworden wie das Geborenwerden, das Gebären. Sie berichten übereinstimmend vom unglaublich überwältigenden Empfinden der Bedeutung der Liebe. Es geht dabei nicht mehr um eine konkrete, gerichtete, weltliche Liebe, sondern die alles tröstende Liebe. Menschliches Leben ist so unglaublich, dass man sogar das Sterben lernen kann, wenn es so weit ist.
Der Titel dieses Eintrags wäre nicht gerechtfertigt, wenn neben tröstlichen Überlegungen nicht auch eine Handlungsempfehlung gegeben würde: Stärker als der Tod ist die Liebe! Selbst wenn unsere Welt als solche und wir als Einzelne im Besonderen verletzlich sind, selbst wenn die Liebe in der Welt ein unglaubliches Experiment Gottes mit offenem Ausgang ist - unsere Gefühle verraten uns zu jedem Zeitpunkt genau, was zu tun ist: Routinen, die Vertrauen schaffen, und im richtigen Moment ein Schuss liebende Verrücktheit. Wenn wir es schaffen, diese Balance zu finden, dann kümmert uns weder die Angst, in Routinen gefangen zu sein, noch die Angst vor allzu großer Veränderung, die wir sicher beide kennen, dann kümmert uns auch nicht die Angst vor der ultimativen Veränderung. Wenn wir alle Menschen, die uns mögen, an unserer Seite wissen, weil wir immer wieder neu an sie anknüpfen im fröhlichen, ernst nehmenden, manchmal auch sorgenvollen Gespräch und in jedem Moment hoffnungsvoll den Aufbruch in eine neue Zeit wagen, dann kann sich unsere Welt wirklich verändern, dann kann Gottes großes Experiment wirklich gelingen - und wer weiß: Vielleicht ist die Welt wirklich so unglaublich, dass wir nach dem Tod sogar neues, zeitloses Leben an einer U-Topie, einem Nicht-Ort völlig neuer Erfahrung kennenlernen können, in dem unser Sein nicht verloren ist, sondern für immer im großen Orchester Gottes seine Stimme gefunden hat.
Es steuert das Schiff des Lebens
und unter uns rauscht die See
wohlbekannt in grundlosen Tiefen
es halten uns die Planken der Liebe
all derer, die mit uns auf dem Weg sind
Es steuert das Schiff des Lebens
wir wissen nicht wohin
und uns überkommt die Lust zu tanzen
auf der Bordwand des Lebens
in Lachen und Glück vereint
in der Gemeinschaft derjeinigen
denen Leben heilig ist
Es steuert das Schiff des Lebens
und wir schlafen trunken von Glück
ob wir tanzen, ob wir fallen
in ewig tröstende lichtlose Tiefen
wir bereuen es nie, geliebt zu haben
Sonntag, 18. März 2012
Die Zwangsläufigkeit von Reduktionismen
Um deduktiv theoriegeleitet zu argumentieren: ich glaube, es ist die Illusion der Beherrschbarkeit des Alltags durch Routinen, die manche Menschen verzweifelt an den Grenzen ihrer Welt festhalten lässt, als seien sie der einzige Halt in einer sich stetig vervielfäligenden Umwelt. Ganz gleich, ob es der Kaffee am Morgen, die Zigarette zwischendurch, das Bier am Abend oder eine bestimmte Einschlafposition in zeitgeographischer Hinsicht oder "mein" Verein, "meine" Disco oder "mein" Supermarkt in räumlicher Hinsicht sind; die Annahme einer klaren Strukturiertheit der Umwelt gewähren zumindest für einen kurzen Intervall Sicherheit, ein Ankommen und ein Vertrautsein, das Planbarkeit zumindest einer kurzen Spanne der Zukunft verheißt: Ich kenne den Ort oder die Stunde, an dem oder der ich ein bestimmtes Bedürfnis befriedigen oder eine bestimmte Emotion evozieren kann.
Was ich nicht verstehen kann, ist, dass wenn ich die Illusion als solche erkannt habe, und mag es noch so schmerzhaft gewesen sein, nicht danach dränge, sie zu ergründen und ihre Genese zu hinterfragen. Vielleicht fehlt vielen auch schlicht ein Weg zur Erkenntnis?
Tatsache ist: wenn man erst einmal angefangen hat, dass scheinbar Gegebene zu hinterfragen, müssen die Gesetze des Alltags, oftmals selbstgemacht, nicht mehr gebrochen werden, um frei zu sein, es reicht dann eine spielerische Neusgestaltung: Um Metaphern zu bemühen: es wird dann nicht mehr Fußball, sondern Theater gespielt. Es gibt nicht mehr nur noch den Ball und 90 Minuten, sondern eine facettenreiche Rolle, die erprobt werden will. Dies erfordert indes den Mut, eine scheinbar bekannte Welt neu zu ergründen, sie mir täglich neu aneignen, das sich Einlassen auf das Andere.
Sicher auf dem Weg zur Erkenntnis ist auch: Am meisten können wir aus den größten Irritationen lernen. Nie lernen wir mehr als im Gespräch mit anderen Menschen, die unserem Alltag fremd sind und die ihn gerade daher besonders bereichern können.
Das verblüffende an dieser Tatsache ist ihr Rückverweis auf die Reduktionismen vom Anfang: sie finden sich nämlich nicht nur in Raum und Zeit, sondern auch in unserer Sprache. Jedes Wort vereinfacht notwendigerweise die Komplexität der Welt, um sie verhandelbar zu machen. Reduktionismen sind also ein wichtiger Startpunkt, um überhaupt ins Gespräch zu kommen:
"Neulich war ich in Hamburg!" "Ah, hast du die Speicherstadt und den Hafen gesehen? Warst du auf dem Michel? Auf der Reeperbahn in St. Pauli?" "Sicher! Besonders schön war es auch an der Alster!" "Ja, dort ist es toll!" usw. Selbst wenn der kritische Geograph sofort in Rage gerät: "Was ist denn DIE Speicherstadt für dich? St. Pauli ist mehr als nur DIE Reeperbahn!", der erste Schritt der Erkenntnis ist immer das Herstellen von Gemeinschaft in einem einfachen Verstehen. Die wenigsten Menschen werden glauben, damit bereits die ganze Wahrheit gesagt zu haben, aber es ist der erste notwendige Schritt dorthin. Erst auf der Grundlage dieses ersten Begriffsnetzes ist ein Austauschen von individuellen Reisetipps o.ä. zur Gewinnung eines nach und nach differenzierten Bildes möglich.
Natürlich ist das Erleben von Gemeinschaft in der Schilderung oder gar der Emotion teilweise kognitiv bedingt: Schöne Aussichten von einem erhöhten Standpunkt, schönes Wetter und offene Wasserflächen faszinieren sicher fast alle Menschen - beim Image von Stadtteilen oder Regionen wird das Ganze schon schwieriger und häufig polemischer. Hier bedarf es neben des Muts, sich auf das Neue einzulassen der Geduld, bezüglich eines Diskursfragments die vorherrschenden (Re-)produktionsregeln in aller Ruhe zu durchdringen und ernstzunehmen, sie vorurteilsfrei zu lesen, bevor sie verändert werden können.
Halten wir fest: Die Grenzen des Denkens zu verschieben und für einen kurzen Moment wirklich zu wachsen, bedeutet also nicht immer die gnadenlose Revolution, sondern manchmal auch, vorher auf eine bestimmte Erwartungshaltung eingehen zu können, sie bewusst zu bedienen und von diesem Ausgangspunkt aus nacheinander Differenzen anzulegen, die im Dialog helfen können, das erste Urteil zu revidieren: "Die USA, das ist Hollywood, New York, Texas, die Great Plains und die Rocky Mountains. Es ist kaum möglich, ob der Vielzahl der Orte und ihrer Überladung mit Bedeutung von DEM 'Amerikaner' in Deutschland zu sprechen. Schlussendlich gibt es wohl auch dort Menschen, die sich je nach ihrem Charakter in ihrem Bemühen, sich weiter zu entwickeln oder eben nicht kaum von der mir vertrauten Welt unterscheiden."
Donnerstag, 15. März 2012
ERBA Sneak preview
Zunächst die Gebäude von außen: Alte Spinnerei (nach Süden, Studentenwohnungen)

Der Bürokomplex von Süden: Seminarturm (Veranstaltungsräume)

Haupttrakt (nach Osten):

getrennt durch diesen Eingangsbereich:

Das gleiche von Norden: Bürotrakt ("kammartige" Struktur):

Die Büros: Mitarbeiter (Standard)

Mitarbeiter (über den Flur):

Das Büro, das ohne Fenster eingezeichnet ist (dunkel genug):

Chef:

Server:

Das war schon das Wesentliche. Schön natürlich Aussicht

und Perspektive ;)

Freitag, 17. Februar 2012
Neue Texte
Auf xdjkx.de findet ihr:
Texte
- Die Ästhetik des Unvollendeten
- Unter Menschen
Sein oder nicht sein
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/blogs/nummereins/1647/nummer-eins-der-reue/
Sollte der deutsche Websphären-Bewohner nur noch zu Shitstorms und zu keinen tiefer gehenden Gedanken mehr fähig sein?
Ungeachtet der allgemeinen Aporie möchte ich mich hier an einem Standpunkt versuchen:
Fünf unerfüllbare Wünsche an die Vergangenheit hat sie besonders häufig gehört:
Die methodische Frage nach der Gefahr eines qualitativen Erfahrungswertes drängt sich zunächst natürlich für einen Wahrnehmungsforscher auf: Wird das generalisiert, was man selbst sucht? Zustimmungswürdig sind die Aussagen in der Tat alle – und seien wir ehrlich: Das fragen wir uns auch so, nur sind wir nicht täglich ins Nicht-Sein gehalten (und so auf die Essenz des Seins reduziert) wie als Sterbender. Bei einer hohen Zustimmungswürfigkeit muss es ein vermittelndes Element geben, das uns alle verbindet. Zweierlei möchte ich anmerken, ohne die Suche nach der Eudaimonia als solche zu diskutieren. Es darf vermutet werden, dass ein Grund darin liegt, dass wir unsere Zukunft für planbar und beherrschbar halten und dadurch immer „es ist ja noch Zeit“ denken, solange es und körperlich gut geht. Ein anderes sind sicher die gesellschaftlichen Diskurse, die unseren Entfaltungsspielraum mehr einschränken als wir überhaupt glauben.
1. Ich wünschte, ich hätte den Mut aufgebracht, ein Leben getreu mir selbst zu führen – anstatt eines, das andere von mir erwarteten.
Das ist nicht neu und eigentlich schon der Kern der Problematik: Secundum naturam vivere ist einer der zentralen und in seiner Dynamik aktuellsten Leitsprüche der antiken Philosophie. Mein Wesentliches Ich-Sein immer neu zu entfalten. Schwierig dabei: Was meine Natur ist, kann ich nicht wissen. Handeln ist immer Handeln unter Unsicherheit. Ich kann zum einen gar nicht wissen, wie zu handeln jetzt in diesem Moment ganz und gar meinem Ich-Sein entspricht. Handle ich zu schnell, muss ich damit rechnen, meiner „Natur“ im Affekt langfristig und unwiederbringlich widersprochen zu haben. („Ach hätte ich doch damals nur nicht!“). Denke ich zu lange nach, ist der Moment zu handeln selbst, unwiederbringlich verloren („Ach hätte ich damals doch!“). Zusätzlich helfen auch einmal an sich selbst erkannte Prinzipien (z.B. durch Überlegen: „Nach welchen Situationen habe ich mich mit mir selbst im Einklang gefühlt.“) nichts, wenn sich meine Wünsche über die Zeit ändern. Zudem: Rücksicht auf andere zu nehmen ist sicher eine Tugend, keine Barriere auf dem Weg zum Seelenheil. Insofern die volle Entfaltung meiner Natur diejenige der anderen beschränkt, geht es nicht an, mich über sie zu stellen. Anders formuliert: Zu gewinnen, ist im Spiel des Lebens kein Kriterium und ich denke, jeder Sterbende ist sich darüber im Klaren. Spielregeln reduzieren die Komplexität der Ziele auf einen Aspekt: Geld, Macht, Ruhm, Anerkennung. Unsere Natur bildet keiner davon ab. Letztlich wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als hier zu lächeln und dort die Ästhetik des Unvollendeten zurückzulassen.
2. Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.
Hier kommen wir der Sache näher: Die Ergänzung lautet: Für andere! Ohne jetzt einem naiven Marxismus das Wort reden zu wollen geht es doch wesentlich um die Unterscheidung von Job und Berufung. Arbeite ich nur, um Geld zu verdienen, muss ich die restliche Zeit gut nutzen, um die Dinge zu erledigen, die mir wirklich wichtig sind. Neudeutsch: Life-work-balance. Wohl dem, der einen Beruf ausüben darf und kann, der seiner Berufung am nächsten kommt; er wird es nicht bereuen. Wichtigste Erkenntnis: Zeit ist kostbarer als Geld.
3. Ich wünschte, ich hätte den Mut aufgebracht, meine Gefühle zu zeigen.
Die Frage lautet: wem? Die Unterscheidung: welche Art von Gefühle? Positive Gefühle nicht kundzutun, aus Angst vor Verletzlichkeit, ist eine der Möglichkeiten, Momente zu handeln unwiederbringlich zu verlieren. Negative Gefühle nicht kundzutun, aus Rücksicht oder Angst vor Folgen, wird eine sich wiederholende Ursache nicht beseitigen. Die doppelte Nennung der Angst vor den Konsequenzen der eigenen Gefühle erklärt natürlich auch, warum schlussendlich Mut nötig ist, einen Sprung ins Handeln zu tun. Ich kann nur Erasmus von Rotterdam zirieren:
Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.
4. Ich wünschte, ich wäre mit meinen Freunden in Kontakt geblieben.
Gnothi seauton statt Pflichterfüllung, Zeit statt Geld haben und Verrücktheit wagen. Es ist fast folgerichtig, dass, wenn es nach Adam Smith eine der grundlegendsten Charakteristika menschlichen Daseins ist, am Leben anderer Menschen Anteil zu nehmen, und sei es, das wir keinen anderen Vorteil daraus ziehen als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein, das die Kunst, die Gabe, der sich selbst treuen Verrücktheit, des positiven Wandels, des Aufbruchs in eine neue Zeit immer nur auf Gespräche zurückführen sind, die wir mit Menschen führen, die wir uns vertraut gemacht haben, die uns aber fern genug sind, das sie uns immer wieder neu begeistern, anregen und verändern können. Es ist klar, dass dieses höchste aller Geschenke, die lächelnde Verständigung über unser Menschsein und ihre immer wieder neue Auslegung nur im Kreis unserer Freunde gelingen kann.
5. Ich wünschte, ich hätte mich glücklicher sein lassen.
Zurück zum Mut: Vor diesem Hintergrund erfordert es Mut, sich Zeit zu nehmen für Gespräche, die an die Grundfesten unseres Daseins rühren, es erfordert Mut, sich gegen das Smithsche man zu stellen, den niemand, der wir alle sind und er wohl am charmantesten das fasst, was wir heute in den Sozialwissenschaften als Diskurs kennen. Erst wenn wir uns vorstellen, wie wir eine bestimmte Tätigkeit rückblickend bewerten würden, die uns alltäglich aufgetragen ist, können wir eventuell erst den Mut aufbringen, nur das anzunehmen, was wir wirklich tun wollen und uns dafür die Zeit zu nehmen, die nötig ist.Schließen möchte ich indes mit Erich Kästner, ich glaube, das steht in Drei Männer im Schnee:
"Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?"
"Nein!"
"Ach, deswegen haben Sie es so eilig!"